Panorama: das 23. internationale Literaturfestival Berlin

Im heutigen Beitrag berichte ich über meinen Besuch, meine Eindrücke und Programmhighlights vom diesjährigen ilb Berlin.

Das 23. internationale Literaturfestival Berlin fand in diesem Jahr vom 6.–16. September statt. An acht Veranstaltungsorten und auf zwölf Bühnen wurden Leserunden, Podiumsdiskussionen, Performances und vieles mehr für literarisch geneigte Besuchende angeboten.

Der hauptsächliche Veranstaltungsort der ilb war das Haus der Berliner Festspiele, doch fanden beispielsweise auch Lesungen und Diskussionen im Berliner Ensemble sowie der Staatsbibliothek zu Berlin – und an diversen anderen Orten – statt.

© ilb

Das Festival erstrebte in eigenen Worten, „ein möglichst breites Publikum anzusprechen und dieses auf vielfältige Weise einzubeziehen. Wir wollen Räume für neue Verbindungen schaffen und Horizonte erweitern.“ Sowohl in puncto Programmvielfalt, Barrierefreiheit, Diversität und Berücksichtigung aktueller Brennpunkte sind diese Ansprüche meines Erachtens eingehalten worden.



Zu Themenkomplexen, unter deren Schirm bestimmte Veranstaltungen gruppiert waren, gehörten beispielsweise „Iran“, „1933–2023“ und „Words of Love and Hate“.

Obwohl letzteres argumentativ etwas breit gefächert wurde und der Sammelbereich im Vergleich einen dezidierteren Titel hätte vertragen können, bot die Formulierung andererseits viele Möglichkeiten, Themen wie Diversität, Toleranz und weit mehr zu umfassen und zu behandeln.


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Im Rahmen des internationalen Literaturfestivals Berlin besuchte ich zwei Veranstaltungen vor Ort im Haus der Berliner Festspiele und schaute mir zwei weitere Lesungen auf dem YouTube-Kanal des Festivals an, wo parallel ein Livestream für – nicht, alle, doch zahlreiche – Events zur Verfügung gestellt wurde. Die entsprechenden Videos sind auch derzeit noch für Interessenten einsehbar.

Am Mittwoch, den 13.09., lauschte ich der Podiumsdiskussion „Die Ukraine: Selbst- und Fremdbilder“, in der Professorin und Politikwissenschaftlerin Gwendolyn Sasse, Autorin Kateryna Mishchenko und Journalistin Eva Murašov über den westlichen Blick, die spannungsreichen Verflechtungen – sowie die Bewältigungspotentiale von Kunst und Kultur – in der Ukraine, in Deutschland, individualistisch und kollektiv, sprachen.

© ilb

Resoniert haben sowohl die Kritik an der medialen Darstellung der Kriegsgeschichte: Beispielsweise wurde auf Reporter*innen hingewiesen, die in der Ukraine auf der expliziten suche nach sensationalistischen Motiven gewesen seien, darauffolgend wurden weiterführende Gründe, Kontexte und Optionen der medialen Diskurse und Perspektiven kritisch hinterfragt. Überdies wurde zur inneren und äußeren Solidarität Deutschlands diskutiert und über die aktuelle publizistische Landschaft – oder vielmehr die Möglichkeit einer solchen – sinniert.

Die Besetzung der Runde im Sinne des Gleichgewichts zwischen den Sphären Künstlerin und Wissenschaftlerin, Literatin und Professorin, der Moderation als balancierendes Zwischenstück – und der Trias von drei intelligenten, facettierten Frauen –, empfand ich persönlich als sehr gelungen. Auch gefiel die Breite der behandelten Themen, die Aktualität der Argumente, die Schnittfläche des Literarischen mit dem Historischen – und die Tiefe zahlreicher interessanter Blickwinkel, die zwischen den Themenkomplexen Kunst und Krieg nach und nach konstruiert worden sind.

Der Freitagnachmittag galt der Buchvorstellung zum im Verbrecher Verlag erschienenen Sammelband „Criminal Women. Eine Geschichte weiblicher Kriminalität“, mit Herausgeberin Jadwiga Kamola und Autorin und Aktivistin Tayo Awosusi-Onutor; charismatisch moderiert von Julia Korbik.

© Verbrecher Verlag

Obwohl Korbik ihrer Moderation einen allgemeingültigeren und populärtauglicheren Rahmen geben wollte und mit der Perspektive auf ‚criminal women‘ einleiten wollte – argumentativ gelang dies –, wurde schnell über das Wesentliche im Buch behandelte literarische und historische ‚Fleisch‘ gesprochen: wie nicht nur People of Colour, sondern auch Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland Jahrhunderte lang diskriminiert worden sind, wie weibliche Hysterie zu ihrer Kriminalisierung führte; wie entsprechende negative Feindbilder entstanden sind – und warum beispielsweise auch queere Frauen ins KZ kamen, obwohl die Gesetzgebung für sie gar nicht galt.

Es ging um die inhärent böse Frau, den Blick auf Frauen aus der Perspektive der Kriminologie per se, um die Geschichte der Kriminologie selbst – die im Buch wunderbar ausgeführt wird – und um die feministische Kriminologie im Besonderen. Schmerzvolle historische Fakten wurden Zuschauenden vor Augen geführt, die ebenso im Sammelband weiter vertieft werden.


Um eine kleine Assoziation zum weiteren Tagesprogramm herzustellen und die Gelegenheit zur organisatorischen Notiz zu nutzen, weiter mit den Worten von Dinçer Güçyeter. In dem (meinerseits im Livestream nachgeholten) Gespräch vom Abend des 15.9. fragte der Verleger, Dichter und Romancier nach einer vorgelesenen Stelle seine Moderatorin:

Moment, wir sind hier sehr streng mit der Zeit, oder?“

Im Grunde entspricht dieser Vermerk der Wahrheit, denn ersichtlich waren zum Ende jeder Veranstaltung am Podium erscheinende Mitwirkende, die zum pünktlichen Schluss ‚ermutigten‘. Insofern wurden die jeweiligen Veranstaltungen üblicherweise im geplanten Rahmen gehalten – mit einer Ausnahme von „Criminal Women“, wo aufgrund von gesprächswürdigen Publikumsfragen die Zeit um einige Minuten überschritten wurde.


Alles in allem ist die prompte Durchführung literarischer Großveranstaltungen essenziell, da so viele Rädchen sich punktuell bewegen müssen, um alle Facetten der vorangehenden und folgenden Lesung makellos zu garantieren. Ebenso zeugt das Vergessen des Endpunkts nach einer einstündigen regen Diskussion nur von der hohen Qualität eben dieser.

Die Moderator*innen schienen ihren respektiven Zeitdruck auffallend streng im Hinterkopf zu behalten – ein ambivalentes Merkmal. Sicherlich bin ich aber perspektivisch von den im vorangehenden Beitrag beschriebenen kleineren Festivals ein etwas anderes Tempo gewohnt und sollte an dieser Stelle eigenständig daran arbeiten, eine grundlegende Fähigkeit der Wertschätzung für beide Arten des organisatorischen Vorgehens kultivieren.


Trotz Pünktlichkeit in puncto Zeit wurde einiges im Laufe des Festivals spontan bewegt und umgestaltet: Das zur Verfügung gestellte Programmheft traf teils divergierende Aussagen mit den Informationen online, ein Veranstaltungsraum wurde binnen eines Tages getauscht (wohl gemerkt, im selben Gebäude); es war mit einem Pressepass grundsätzlich nicht möglich, am Vortag die Zusage für einen Platz auf einer Veranstaltung zu erhalten.


Im Ausklang verbleibe ich also voller Freude über die Vielfalt des Festivalprogramms, die spannenden Autor*innen und Themen, die auf dem ilb zur Geltung gekommen, besprochen, obduziert worden sind; voller Bewunderung zum allgemeinen Niveau der Gespräche, der Moderation und der narrativen Fäden in den respektiven Dialogen mit Literat*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen – und freue mich auf das Nachholen von zahlreichen Veranstaltungen auf dem YouTube-Kanal des Festivals.

Denn ohne die Hälfte der Lesungen im Online-Format nachholen zu können wäre der inhaltlich und thematisch sehr positive Eindruck vom ilb aufgrund von organisatorischer und kommunikationstechnischer Kulissen etwas gemindert worden.


Gerne empfehle ich Dir nun, im Nachhall dieses Beitrags, das ungemein sympathische Gespräch mit Dinçer Güçyeter über seine Erzählerstimme, die Inspiration hinter der Familie in seinem Roman „Unser Deutschlandmärchen“ – und mit einer exklusiven literarischen Premiere vom Autor.



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