Drei Kurzrezensionen, Edition Körper: „Sonne und Stahl“, „Power Bottom“ und „Frau des Himmels und der Stürme“


Ein fabelhaft getakteter, gekonnt ausbalancierter Roman; ein komplexer autobiografischer Essay – und eine Sammlung sprachlich scharfer Feinheiten sowie emotionaler Sensibilitäten. Im heutigen Beitrag aus der Reihe „Drei Kurzrezensionen“ teile ich meine kompakten Eindrücke zu drei vor Kurzem gelesenen Büchern zum Themenkomplex „Körper“.


Zusätzlich zu den regulären ausführlichen Buchbesprechungen erscheinen seit Kurzem unter dem Serientitel „Drei Kurzrezensionen“ gebündelte Momentaufnahmen. Diese Texte entstehen meist als unmittelbare Eindrücke direkt während oder kurz nach der Lektüre und sollen lediglich eine Impression des jeweiligen Buchs darstellen. Weiteres können wir bei Interesse sehr gerne in den Kommentaren besprechen und ausführen. Ich freue mich auf Deine Gedanken!

Im heutigen Beitrag habe ich meine Gedanken zu drei lesenswerten Texten gebündelt, die sich mit dem Themenkomplex „Körper“ beschäftigen.


Wilfried N’Sondé: „Frau des Himmels und der Stürme“
Übersetzt von Brigitte Große


© Kopf und Kragen

Wilfried N’Sondés fabelhaft getakteter, gekonnt ausbalancierter Roman „Frau des Himmels und der Stürme“ erforscht die zerstörerischen und die fürsorglichen Seiten der menschlichen Natur, reist in die ältesten Jahrhunderte der Geschichte unserer Spezies – und unterhält auf höchstem Niveau.

Diese Geschichte spielt auf der Jamal-Halbinsel in Sibirien und handelt vom Schamanen Num, der sie ihn umgebende wilde Natur vor einer sich anbahnenden menschlichen Zerstörung retten möchte.

In der plötzlichen Erscheinung eines menschlichen Körpers im Permafrost sieht Num die erhoffte Lösung und ersucht die Hilfe eines befreundeten Wissenschaftlers. Dieser wiederum versucht, eine misslungene Annäherung, eine verpatzte Liebschaft auf der Expedition zur vermeintlich 10.000 Jahre alten afrikanischen Königin wiederbeleben.

Die streng geheime Expedition, die Rechtsmedizinerin Cosima und Anthropologe Silvére mit gänzlich anderer Zielsetzung antreten – nein, bereits die einzelnen Bewegungen auf dem Weg nach Sibirien – setzen diverse Kräfte frei, die zu einem gewaltigen Klimax der Handlung, einer Neuentdeckung diverser Innenwelten und Seelenräumen und einigen überraschenden Kehrtwendungen führt.

N’Sondé versteht es, ein fesselndes und doch verfolgbares Tempo einzuhalten: diverse Perspektiven zahlreicher Protagonist*innen wechseln sich immer wieder ab, geben ihre respektive Motivation und Zielsetzung preis, treiben die spannende Geschichte immer schneller voran – und treffen irgendwann mit fataler Intensität aufeinander.

Denn obgleich Loyalitäten wechseln und mancherlei Hoffnung stirbt – die rasante Kulmination der Expedition besteht aus so vielen Kehrtwendungen, dass auch auf einen Showdown gefasste Lesende hier viele Überraschungen erleben werden.

Die Naturkulissen von „Birobidschan“ treffen auf das Charisma von „Kingsmen“, der Humor russischer Satiriker findet zur Dürrenmatt’schen Komödie – von N’Sondé stets mit einer augenscheinlichen Leichtigkeit komponiert.

Im Abgang fast etwas zu leicht – wären da dann nicht noch die erfolgreich auf dem Rande des Klischeehaften balancierenden Gegenspieler, zahlreichen Reflexionen über den faulen Teil des Menschen, die allgemeine Neigung zur Vernachlässigung der eigenen Umwelt und die unumgehbare Zerstörung unseres wunderschönen Planeten.

Witzig, schräg, hart, fesselnd, hochaktuell. Meinerseits eine Leseempfehlung!


Hier geht’s zur Leseprobe.

Wilfried N’Sondé: Frau des Himmels und der Stürme. Kopf und Kragen Verlag, 2023. 256 S., 24 € (D).


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Yukio Mishima: „Sonne und Stahl“
Übersetzt von Sabine Mangold


© mitteldeutscher Verlag

Yukio Mishimas autobiografischer Essay „Sonne und Stahl“ beschäftigt sich mit der Beziehung des japanischen Autors zum eigenen Körper, der Beziehung zwischen Körper und Sprache – und dem Konzept des Körpers als Sprache, der Sprache als Körper.

Zwischen den zwei Titelpolen Sonne und Stahl bewegt sich Mishima allerdings seltener. Obwohl seine Beziehung zur Sonne an mehreren Stellen erläutert wird, geht es primär um das physische Selbstbild, Konzepte von Schwäche und Stärke, die Interpretation dessen, wie ein Körper die innere Verfassung einer Person kommuniziert – und wie das stark von sportlichen Idealen geprägte Selbstbild Mishima zum obsessiven Umgang mit dem eigenen Körper führt.

„Sonne und Stahl“ ist ein komplexer Textkorpus, der vor allem linguistisch und japanologisch interessierten Individuen ordentlich Reflexionsboden bieten wird. Hierzu trägt die Arbeit der Übersetzerin Sabine Mangold bei: nicht nur ist die Übersetzung gelungen, sondern werden mögliche Doppeldeutigkeiten, semantische Felder von vielschichtigen Wörtern und kulturell auf Japan bezogene sowie intertextuell auf Mishima bezogene Optionen der Interpretation in zahlreichen Fußnoten ergänzt.

Auch wenn für diesen Komplexen Essay ein Vorwissen zur Biografie des Autors von Nutzen wäre – Mishima gilt als einer der bedeutendsten und meistübersetzten Autor*innen Japans, eine Auseinandersetzung mit seiner Person ist zweifelsohne gewinnbringend – reicht der knappe Klappentext für eine grobe Ortung der biografischen Nuancen aus, die im Text vorkommen.

Vorrangig ist „Sonne und Stahl“ jedoch eine charakterstarke Individualphilosophie, die auch textimmanent betrachtet viele Passagen mit interpretativer Tragweite und psychologischer Tiefe vorweist.

Lesenswert!

Yukio Mishima: Sonne und Stahl. Mitteldeutscher Verlag, 2023. 136 S., 20 € (D).


Eva[n] Tepest: „Power Bottom“


© März Verlag

Literaturkritische Essays und persönliche Offenbarungen, erhellende Gedanken zum Themenkomplex Queerness und Sexualität, sprachlich scharfe Feinheiten und emotionale Sensibilitäten – all dies finden neugierige Lesende in „Power Bottom“ von Eva[n] Tepest.

Feminine und nonbinäre Identitäten, Selbstbefriedigung, S*xarbeit und S*xpositive Positionen, die gesellschaftliche Dekonstruktion desjenigen, was im heteronormativen Kaleidoskop als attraktiv, begehrenswert und sexy gilt – Tepest nimmt nicht nur die eigenen Ideen von Lust und Sex konstruktiv auseinander, sondern blickt tief hinter die Kulissen derjenigen Ideen und Theorien, die es weiterhin gilt, zu überwinden.

Besonders gerne las ich den Essay „Power Bottom“, wahrscheinlich das intimste Selbstgespräch in diesem Buch, wahrhaft erhellend fand ich allerdings auch „Queerness als Metapher“ – ein Text über Codierungen, Begriffe, semantische Felder und dasjenige, was sich zwischen den Zeilen befindet.

Der Textkorpus hinter diesen Texten hat beeindruckt; von hierzulande oft gelesenen Autor*innen wie Maria Machado, Mithu Sanyal, Virginie Despentes über Klassiker*innen wie Christa Wolf, Jung oder Monique Wittig schmunzelte ich über die Erwähnung von „Necroph!lia Variations“. Tepest hat einen verdammt weiten literarischen Horizont – und kann enorm fesselnd mit Sprache, Worten, Gedanken, Konzepten umgehen.

Du möchtest deinen Horizont bezüglich der oben erwähnten Themenkomplexe erweitern? Dann aber schleunigst losgelesen!

Eva[n] Tepest: „Power Bottom“. März Verlag, 2023. 165 S., 18 € (D).


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