Zitateverzehr, 6: Michail Bulgakow

Der russisch-sowjetische Schriftsteller Michail Bulgakow (1891–1940) gilt als einer der größten Satiriker der russischsprachigen Literatur. Das wahrscheinlich bekannteste Werk aus seiner Feder ist der Roman „Meister und Margarita„, allerdings hat Bulgakow überdies zahlreiche Erzählungen, Libretti und Feuilletons geschrieben.

Was macht den unverwechselbaren Kern von Bulgakows Satire aus – und welches seiner Werke muss man unbedingt gelesen haben?


© Luchterhand

Michail Bulgakows Werke, seien es die kürzeren Erzählungen oder die ausführlicheren Romane, gehören zur Kategorie der Satire, weswegen man sich ihnen ohne gewisse Vorbereitung zum zeitgenössischen Umfeld des Autors nicht optimal nähern kann.

Die Texte sind, zugegeben, auch als solches charismatisch, schräg, bissig und witzig zu lesen, doch lohnt sich meistens die Vorab-Lektüre sämtlicher Anhänge, Vor- und Nachwörter der jeweiligen Bücher, ehe die Texte selbst in vollen Zügen genossen werden können.

Vor allem sollten Interessierte berücksichtigen, dass Bulgakow zu Zeiten der Zensur lebte und sich Wort für Wort mit dem sowjetischen Machtapparat anlegen musste – ein totalitaristisches Regime, in dem die Ausübung von Meinungsfreiheit vielen das Leben kostete.

Dies resultierte darin, dass in sämtlichen seiner Werke ein enorm hohes Maß an Doppeldeutigkeiten, Allegorien und nuancierten Subtilitäten eingearbeitet worden ist.

Für Detektiv:innen mit Faible für historische Inhalte ist Bulgakows Werk also besonders attraktiv einzustufen.


Der Erzählband „Teufeliaden“ bietet einen kompakten und übersichtlichen Einstieg ins Werk es Satirikers. Der Erzählband beinhaltet vier kurze und zwei längere Erzählungen Bulgakows aus den Jahren 1922–1925. Diese zeigen den bürokratischen Apparat, die sozialistische Gesellschaft und das alltägliche Elend der russischen Gesellschaft mit Sorgfalt, Finesse – und Biss.

Eine ausführliche Besprechung der „Teufeliaden“ ist in diesem Blog bereits vorhanden – diese findest Du hier.


Der Beginn der entsetzlichen Katastrophe muß auf diesen
unglückseligen Abend datiert werden,
ebenso wie als Urheber der Katastrophe Professor
Wladimir Ipatjewitsch Persikow anzusehen ist.
(95)


Bulgakows Texte sind stilistisch wie ein kombinierter Extrakt aus den Auren von Gabriel Garcia Marquez, Franz Kafka und Matias Faldbakken anzusehen. Wie diese in ihrer vollständigen Farbbrillanz zur Geltung kommen, kann in den „Teufeliaden“ näher entdeckt werden. Sie verschaffen einen hervorragenden ersten Eindruck zum Schaffen und zu den Kernthemen des Autors.


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Allerdings verfasste Bulgakow sich nicht nur mit seiner eigenen Zeit und seinem persönlichen Umfeld, sondern interessierte sich auch stark für europäische Kulturgeschichte und adaptierbare Kontexte in den vorangehenden Jahrhunderten.

So geschah es, dass er eine mit Fiktion, Humor und Spekulationen bestückte, doch recht detailreiche Biografie des kontroversen französischen Dramatikers und Theaterdirektors Molière verfasste, den Bulgakow persönlich als Leidensgenossen wahrnahm.

Maßgeblich für Molière war, dass er sich satirische Bemerkungen über alle, darunter auch die höchsten, Gesellschaftsschichten erlaubte – für einen Dramatiker im 17. Jahrhundert eine recht ungewöhnliche Herangehensweise, die ihm Unmengen an Missgunst und Verachtung brachte.


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© Luchterhand

Im Roman „Das Leben des Herrn de Moliére“ parallelisiert Bulgakow das Schicksal des französischen Dramatikers mit seinem eigenen – denn auch Bulgakow fühlte sich als Spielpuppe des Staates, schrieb trotz Zensur und Verbot kontroverse Texte und wurde sowjetischen Apparat stets unterdrückt und erstickt.

Der Roman ist psychologisch aufschlussreich, historisch informativ, charismatisch und hochgradig emphatisch mit dem Protagonisten – wobei dennoch eine ambivalente Erzählerhaltung hervorsticht.

Es gelingt Bulgakow, Moliére zeitgleich als Helden, „meinen Helden“ zu bezeichnen und darzustellen, ohne ihm zu irgendeiner Stelle im Roman die moralische Oberhand zu gewähren.

Bulgakow skizziert ein auffällig neutrales, sachliches Portrait einer als allgemein hochgradig polarisierenden Person. Die sarkastischen Bemerkungen des Erzählers bleiben oft interpretationsoffen und erlangen dadurch eine zusätzliche Komplexität, die beim Lesen immer wieder rätseln lassen und das Interesse für die Figur, die Person Moliére wecken.


Kurzum, er ist alles andere als schön. Aber seine Augen sind bemerkenswert. In ihnen lese ich allgegenwärtige Spottlust und zugleich unausgesetzte Verwunderung über die Umwelt.“(38)


„Das Leben des Herrn Molière“ konnte zu Bulgakows Lebzeiten nicht erschienen; in einem gehaltvollen Nachwort mit literaturgeschichtlichen Erläuterungen werden die Umstände um diesen Sachverhalt vom Slawisten Ralf Schröder sorgfältig erläutert.


Wer sich also nicht nur für sowjetische Satire, sondern auch für europäische Kulturgeschichte und/oder spezifisch für den Absolutismus interessiert, wird in diesem Roman viel Lesefreude finden.


© Anaconda

Als Kronjuwel, bedeutsamster Roman und argumentatives Hauptwerk des Autors verbleibt es, den Roman „Meister und Margarita“ zu betrachten, welcher posthum erschienen ist.

Diese schräge Geschichte enthüllt skurrile Fakten über den Teufel, seine Handlanger; über die mutmaßliche Macht reiner Liebe – und die absurde Lächerlichkeit des Menschen.

Der Roman bedient sich zwar am Faustmaterial und thematisiert die Gegenüberstellung von Gut und Böse – doch sind die einzelnen Kapitel, die Situationskomik, die surrealen Verzwicktheiten der Handlungslinien und die offensichtlich triumphierende Figur des Teufels bei Weitem faszinierender als die vermeintliche Liebesgeschichte und die parallele Jesusgeschichte, die in die Handlung reinfließen.

Angesichts der Position von Religion in der Sowjetunion spielt auch dieser Aspekt des Romans eine ganz besondere Rolle für die Gesamthandlung.


Danach, als es, offen gesagt, schon viel zu spät war, legten verschiedene Behörden ihre Berichte vor, in denen dieser Jemand beschrieben wurde.
Beim Vergleich dieser Berichte kommt man aus dem Staunen nicht heraus.“(13)


Schließlich sind alle drei Ebenen allerdings zusammenspielend als faszinierende Allegorie über die zeitgenössischen Umstände zu interpretieren – was „Meister und Margarita“ zu einem außergewöhnlichen Roman ohnegleichen erhebt.

Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle noch die im Anaconda Verlag erschienene Neuübersetzung von Alexandra Berlina, die sich offensichtlich innig mit Text und Autor beschäftigt hat und in ihrem Nachwort sowohl mit den sprachlichen als auch den inhaltlichen Übersetzungsentscheidungen, der Überlieferungsgeschichte des Textes und diversen Kleinigkeiten aus der Geschichte auseinandersetzt, die in solcher Form noch nicht besprochen worden sind.

Auch in visueller Hinsicht lohnt sich ein Blick in die neue Ausgabe.


Michail Bulgakow war ein außergewöhnlicher Autor, der mit Finesse, Humor, Sarkasmus und Ironie zu spielen wusste, mit Rückgrat und Biss den sowjetischen Machtapparat kritisierte – und aufgrund seiner hervorragender literarischen Werke immer wieder als lesenswert hervorgehoben gehört.

Welches Werk des Autors interessiert Dich am meisten? Hast Du bereits Erfahrungen mit Bulgakows Texten gemacht?

Ich freue mich auf Deine Meinung zum Thema.


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