Dies ist kein Buch. Rebecca F. Kuang: „Yellowface“

Rebecca F. Kuangs bombastischer Bestseller „Yellowface“ handelt von großartigen Büchern – und der vollständigen Illusion ihres organischen kommerziellen Erfolgs. Kuang schreibt über Ruhm und Verleumdung, malt das fantastische Dasein von vergötterten Literaturstars in intensivsten Tönen aus, erzählt die bahnbrechende Geschichte eines gestohlenen Erfolgs – und rechnet dabei knallhart mit der Verlagsbranche ab.

Lohnt sich dieses Buch im Buch im Buch wirklich, oder ist der krasse Hype von „Yellowface“ lediglich das Resultat mehrerer geschickt getakteter Marketing-Stunts, auf die Lesende lieber nicht reinfallen sollten?


Die sinoamerikanische Autorin Rebecca F. Kuang studierte in Washington D.C. und Cambridge und promoviert derzeit an der Yale University zum Thema Propagandaliteratur während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges. Kuang ist aufgrund ihrer Trilogie „Im Zeichen der Mohnblume“ vorrangig als Fantasy-Autorin bekannt und hat in diesem Rahmen mehrere Genre-Literaturpreise gewonnen. Ihr Roman „Babel“, für den sie den Nebula, den Locus und den World Fantasy Award erhielt, erschien im letzten Jahr im Eichborn Verlag, der nun auch das neueste Buch der Autorin veröffentlichte.

„Yellowface“, übersetzt von Jasmin Humburg, ist eine skandalöse, humoristische, scharfsinnige Abrechnung, die hinsichtlich der ausgepackten und eingewobenen Metaebenen Künstler*innen wie René Magritte mit Stolz erfüllt hätte. Es handelt sich nämlich um ein Buch über ein Buch in einem Buch – als Buch. Was aber gar kein Buch ist.

Mutig, kreativ, fesselnd – und der Wahrheit an so vielen Stellen gefährlich nahe.


Kuang sinnierte in einem Gespräch mit der Journalistin Rebecca Liu in The Guardian darüber, wie sie sich als Autorin nicht auf nur ein Genre festlegen möchte; ob Grenzen oder Genehmigungen oder Verbote dazu bestehen, wer über was schreiben darf und warum sie als Debütantin nie den Mut – allerdings auch eh nicht das Insider-Wissen – gehabt hätte, einen Roman wie „Yellowface“ zu schreiben.

Über die scharfen Zähne und die tiefe Kehle der Verlagsbranche weiß die Protagonistin June Hayward bestens Bescheid – denn während ihr Debütroman kaum Ansehen erregt und stillschweigend in Vergessenheit versinkt, wird ihre Freundin Athena Liu von der Buchwelt umworben und gefeiert.

Eigentlich sind June und Athena gar keine engen Freudinnen. Und Athenas Erfolg basiert in größten Teilen nur auf Glück, Herkunft und Verkaufbarkeit. Da steht es June, die keiner marginalisierten Gruppe angehört, ihrer Ansicht nach ja fast schon zu, ein Stück von diesem unfair verdienten Erfolg zu erben. Diese Meinung bewegt June dazu, in der fatalen Nacht, als Athena an einem tragischen Missgeschick stirbt, ihr neuestes Manuskript mitgehen zu lassen – und als eigenes Werk zu verkaufen.


Mit dem Roman „Die letzte Front“ – ein Buch über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs – wird June zu Juniper Song, dem neuen Shooting Star der Literaturszene.

Dass Juniper Song eine weiße Frau ist, muss auf den ersten Blick tunlichst umgangen werden, denn niemand interessiert sich für Geschichten „ganz normaler“ weißer Mädchen, so sehen es June und ihr Verlag. Dass der Roman aber vor der Veröffentlichung einem Sensitivity Reading unterzogen werden sollte, findet die Autorin lächerlich. Das Herzblut und die Mühen, die sie in entsprechende Recherchen und Überarbeitungen gesteckt hat, wird nicht zu übersehen sein.

Falsch gedacht.


Lasst es mich erklären.
Es ist nicht so furchtbar, wie es sich anhört.
(48)


Kuang skizziert eine klassische unzuverlässige Erzählerin, die von ihrer moralischen Überlegenheit und faktischem Recht absolut überzeugt ist; nicht nur Lesende, sondern auch sich selbst betrügt – und auch noch hofft, nach diesen Entscheidungen sowohl mit sich selbst als auch mit der Außenwelt im Reinen zu bleiben.

Umso prekärer ist die Genussintensität des weiteren Geschehens: ist es vergnüglicher zu beobachten, wie Junes intrinsische Illusionen nach und nach zerbröckeln – oder unterhält der gnadenlose Verzehr ihres Image zwischen den Kiefern der öffentlichen Meinung mehr?


Sei es das eine oder das andere, sicherlich wird der bevorzugte Aspekt auch individuell ausfallen. Fest steht, dass „Yellowface“ eine rasante und amüsante, eine entsetzliche und doch kuriose Geschichte erzählt – und zudem diverse hochgradig aktuelle Problemkomplexe behandelt, mit denen Akteur*innen der Verlagswelt mehr als vertraut sein werden.

Doch nicht nur hierin besteht die Faszination mit diesem Buch im Buch im Buch. Kuang stellt ihren messerscharfen Autorinnenverstand auf weiteren Ebenen unter Beweis – und führt Lesende so gekonnt hinters Licht.


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Es mag inmitten der fesselnden Geschichte nämlich kaum jemandem auffallen, wie auch Kuang selbst dieselben Konflikte, Paradoxe und Brennpunkte ausnutzt: die offensichtliche Benachteiligung marginalisierter Autor*innengruppen innerhalb der Verlagswelt, die notwendige Verkaufbarkeit eines Schreibenden sowie eines Buchs, die Kurzlebigkeit der Verkaufskraft von Novitäten – und das unbehagliche, wachsende Geschick von Individuen, eine im Internet lebende Figur zu erstellen, die nichts mit der echten Person zu tun hat.

Ein kritischer Blick lässt – nach der begeisterten Lektüre – nüchtern erkennen: „Yellowface“ selbst ist ein Meisterstück des Vergänglichen; ein Buch, welches unter Erwägung derselben Strategien entstanden ist, die es kritisiert.


Mit jedem Meilenstein, den ich in der Buchbranche
erreiche, wächst mein Ehrgeiz. […]
Ich will das, was Stephen King und Neil Gaiman haben.


Warum keine Verfilmung? […]
Warum kein multimediales Imperium?
Warum nicht die Welt?
(160)


June ist auch abseits ihrer argumentativ strafbaren Hobbies eine echte Autorin, die die Literatur und das Schreiben mit Herz und Seele liebt und lebt – zumindest in ihren eigenen Augen, in denen sie natürlich die Heldin ist, die Protagonistin im Film ihres Lebens – wer denn sonst?

Juniper ist ein Fake. Ist June das auch? Wir wissen es nicht, aber sie hält sich für eine, sieht sich als eine – authentische Autorin; für jemanden, der den Drang zum Schreiben kennt und hat und verkörpert. Schreiben sei für sie der „Kern meiner Identität, seit ich ein Kind war“ (268); „ein körperlicher Drang, ein Verlangen, wie atmen, wie essen“ (310).


An dieser Stelle treffen Fiktionalität und Wahrheit, Buch und Realität, aufeinander, hier finden wir den allgemeingültigen Kern des Geschriebenen; die zu lernende Lektion für alle Neuankömmlinge im Literatur-, Kunst- und Musikbetrieb.

Herzlich willkommen in der Welt des Marketing von Kunst. Kommerzialisierung ist der Tod des authentischen, zweckfreien Künstlertums. Auch wenn June – und Lesende – sich der Faktizität dieser Aussage bewusst sind, streben sie dennoch zum Aufstieg am literarischen Himmel, ihre Moral nach und nach abstreifend.


Und schreibst du erst einmal für den Markt, ist es egal,
welche Geschichten noch in deinem Inneren brennen.
[…]
Sie wollen das Neue und Exotische, das Diverse,
und wenn ich mich über Wasser halten will,
muss ich ihnen genau das geben.“(306)


So richtig und so falsch, so selbstverliebt und überzeugt – so wahr und doch so typisch weiß.

Oder?

Der für den Außenstehenden auf Figuren- und Szenenebene humoristisch und spannend beschriebene Zerfall erreicht irgendwann sicherlich auch das Lesendenherz. Junes Leiden, so hoch ihr Eigenanteil an ihnen sein mag, sind ebenso echt wie ihr Kampf um einen Platz im literarischen Himmel.

So ist es einerseits faszinierend, andererseits ungemütlich zu betrachten, wie June, nachdem die öffentliche Spekulation über das vermeintliche Plagiat und den Diebstahl des Manuskripts (nebst des bereits fortlaufenden Diskurses zur kulturellen Aneignung) psychologisch zu Grunde geht und von einer Ohnmacht überfallen wird: „ich kann nicht einmal meine Wohnung verlassen; ich […] scrolle entweder auf meinem Laptop oder meinem Handy, lese immer wieder dieselben Updates auf denselben fünf Seiten.“ (172)

Sei es ein persönlicher Meilenstein, ein maßgebliches Ereignis im Leben einer aufmerksam verfolgten Berühmtheit, ein ausbrechender Krieg, eine Naturkatastrophe oder der Tod einer international bekannten Person: Der Drang, sich auf dem Laufenden zu halten, ist allen Instagram– und Twitter-Nutzenden an dieser Stelle bekannt.

Zynische Individuen würden sogar sagen: Egal ist der Krieg auf weiten Feldern in fremden Ländern – auf Twitter aktualisiert mensch umso öfter, wenn es einen persönlich trifft. Und der Verfall und die Skandale von Sternchen treffen uns natürlich alle sehr persönlich.


Wie erbarmungslos wir, das lesende Publikum, allerdings eigentlich sind – zu den Junipers und Junes dieser Welt – ergibt sich dadurch, dass der Roman im zweiten Drittel beginnt, seine Novität zu verlieren, da dies ihr ja schon passiert ist.

Ohne die Handlung in puncto Ausklang zu spoilern – denn dieser Buchblog ist spoilerfrei: Junes Erfolg und wachsende Reichweite, ihre Person und der Skandal um ihren Bestseller, ihren eventuell von einer Autorin gestohlenen Bestseller, lassen sie auf ähnliche Hindernisse stoßen und Rückschläge der gleichen Art erleben.

Muster bilden sich. Diese lassen innehalten.

Die skrupellose Manier des Handelnden wird irgendwann übertragen auf die Behandlung von der Handelnden. So wie sie im Laufe des Romans die Bücher anderer analysiert, wie kritisch sie mit dem Manuskript von „Die letzte Front“ umgeht und gnadenlos Passagen streicht, Figurenkonstellationen umbaut und Perspektiven rekalibriert – wird auch der Blick auf June irgendwann analytisch, skeptisch, kritisch, das Augenmerk graduell auf Feinheiten gerichtet.

So würden skeptisch-kritische Lesende spätestens im zweiten Drittel merken: Juniper Songs täuschende Fassade ist so offensichtlich, dass auch die Patina um June Hayward zu bröckeln beginnt. Fragen entstehen und bleiben offen – das Skandalöse um die Protagonistin herum lässt inmitten der Schnappatmung keine Luft für sachliche Betrachtungen übrig.

Sofern die emotionsgeladenen OMG-Wolken weitergezogen sind und nüchterne Reflexion möglich wird, entpuppt sich auch das auf Momentum gebaute wacklige Romangerüst von Rebecca F. Kuang.


Es wirkt so, als ob es der Autorin selbst an genau derselben Stelle aufgefallen wäre: Ergänzungen zum Leben der Protagonistin, Kausalitäten, die ihr familiäres Umfeld betreffen und figurenpsychologischer Saft für echte Beziehungen außerhalb des illusorischen Event- und Verlags-Bubbles werden auf die Schnelle nachgereicht, eine actiongeladene Ablenkung mit beschleunigter Kulmination wird in die Wege geleitet.

Am Ende fängt die Geschichte sich auch wieder – es ist zufriedenstellend, wie der Titel im Prozess der Handlung erläutert wird; figurenpsychologisch passend, in welche Richtung die letzten Gedanken der Protagonistin gehen.


Der perfekte Hype-Train also. Massenkompatibel. Skandalös. Frech. Leicht zu lesen. Im Abgang und Nachhall erzählerisch mehrwerdend fad. Aber im ersten Drittel kaum aus der Hand zu legen.

Naja.

Wer wurde hier jedoch schlussendlich an der Nase geführt, wenn nicht der Literaturbetrieb, der ein Buch feiert, welches gar kein so richtig gutes Buch ist, aber dem Betrieb selbst knallhart einen Spiegel vorhält?

Darüber gilt es im Weiteren viel und oft zu sprechen. Über das Buch selbst eher weniger.

Bibliografie

Titel: Yellowface
Autorin: Rebecca F. Kuang

383 Seiten | 24,00 € (D)

Erscheinungsdatum: 29.02.2024
Verlag: Eichborn

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