Diabolische Diamanten. Fiston Mwanza Mujila: „Tanz der Teufel“

Der kongolesische Schriftsteller, Performer, Dozent und Dramaturg Fiston Mwanza Mujila ist in seiner derzeitigen Heimat Österreich vor allem in der Bühnenlandschaft bekannt: sowohl eine Variation des Debütromans „Tram 83“ als auch Mujilas Theaterstück Zu der Zeit der Königinmutter wurden dort bereits aufgeführt. Ersterer stand allerdings bereits im Jahr 2015 auf der Longlist des Man Booker Literaturpreises und gewann 2017 den Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt.

Welche Botschaften verbergen sich hinter der grellen, schwitzenden Schale des neuen Romans – und wem ist „Tanz der Teufel“ wärmstens zu empfehlen?


© Zsolnay

Fiston Mwanza Mujila ist für seine musikalischen Ausführungen, exzentrischen Stilisierungen und skurrilen Erzählwelten bekannt.

Diese Aspekte werden auch im neuen Roman „Tanz der Teufel“ (La Danse du Vilain, 2020) bis ans Äußerste aufgeblasen.


Allerdings verbirgt sich hinter Mujilas farbenfroher, expressionistisch angehauchter Erzählwelt eine fragmentierte Realität, die in jeder Minute zu zerfallen droht.

„Tanz der Teufel“ spielt im Grenzgebiet zwischen Angola und dem Kongo, in den Minen von Lunda Norte und im Zentrum von Lubumbashi (Mujilas Geburtsstadt) – eine Gegend, in der alle materiellen Dinge flüchtig bleiben und Glück nur eine Täuschung ist.

Bleibender Erfolg, emotionale Bindungen oder Wurzeln sind in Mujilas Afrika weder vorhanden noch möglich – dass diese Realität auch von seinen Figuren als herrschend und unvermeidbar anerkannt wird, steigert den hedonistischen Nihilismus des Romans in unvergleichbare Höhen.

Der mit diversen Konnotationen aufgeladene Titel beschreibt zunächst einen tatsächlichen Tanz – der in zwei möglichen Ausführungen getanzt werden kann (und üblicherweise auch nächtlich gespielt wird):


die längere dauerte eine Stunde und siebenunddreißig oder
neununddreißig Minuten, die kürzere dauerte achtzehn Minuten
oder auch zehn, wenn der DJ genug Klebstoff intus hatte.“(110 f.)


Ganz klar deutbar und verfolgbar sind in diesem Roman weder das Geschehen noch die Figurendynamiken noch die psychologische Verfassung der Protagonisten.

Das Motto „Diamanten rauben einem den Verstand“ (104) gilt für den übergreifenden Gemütszustand aller Figuren: so markant und charakterstark diese im Einzelnen von Mujila skizziert worden sind, so schnell dekonstruiert der Autor seine Held:innen auch wieder.


Zu Beginn des Romans türmt auf der Figurenebene die mythische Tshiamuena, die Madonna der Minen von Cafunfo (im Nordosten Angolas), die nach eigenen Aussagen bereits hunderte Jahre alt ist und als Mutter und Ehefrau, Göttin und Köchin die Ordnung wahrt.

Ihre Begegnungen mit jungen Männern, ihre wandelnde Schönheit und Macht über die Diamantenschürfer werden zu Beginn in einem begeisterten Ton geschildert, verlieren sich jedoch abrupt in den Geschichten von Straßenkindern, die ihre Existenz in der so opportunistischen, so gefährlichen Stadt behaupten.


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Da wird der österreichische Schriftsteller Franz im Taxi von dem etwas einschüchternden, für Reggae lebenden Djibril durch die Stadt gefahren – hier spionieren als Agenten eingestellte Straßenkinder des Geheimdienstlers von Mobutu Sese Seko, Monsieur Guillaume, hinter Aufrührern her – dort versucht der von Zuhause ausgerissene Molakisi einen verschluckten Diamanten in seinem Magen zu behalten, ehe angolanische Soldaten ihn davon befreien.


Dass keine dieser Figuren eine Geschichte mit Anfang und Ende erzählt oder besitzt, dass die Handlung eigentlich an drei und schlussendlich doch an einer Unzahl an distinkten Orten stattfindet, und dass gefühlt doch alle Spieler:innen der Erzählung sich abends immer wieder im Mambo de la fête zurechtfinden, um dort die Hüften kreisen zu lassen – diese skurrile, grell gefärbte, vielfältige Sequenz muss zunächst einmal verdaut werden.


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Vor allem erinnerte der Autor mich an die Kurzgeschichten und Romane der Satiriker Michail Bulgakow sowie Ilf und Petrow – der die Erzählung tragende nihilistisch-fatalistische Humor wird durch Details im Sprachlichen, Körperlichen und Widersprüchlichen wundervoll ausgeschmückt.

Absurde Kapiteltitel, die schon selbst fantastische Geschichten erzählen, wie:

42
Die Epidemie der verlorenen Geschlechtsteile


– oder

28
Ngungi, in seiner Eigenschaft als Hexer
und Kannibalenlehrling, flippt aus, als er den spektakulären
Aufstieg seines Teamkollegen beobachtet


… sowie stilistische Verschmelzungen mit äußerst nuancierten Feinheiten und vollständig albernen Momenten gestalten den „Tanz der Teufel“ kombinatorisch als eine in gleichem Maße unlesbare und endlos genießbare Lektüre.

Kurz: Dieses Buch zu definieren oder zusammenzufassen wäre sinnlos.


Die Titelübersetzung mag auf den ersten Blick bedenklich klingen, sofern man einen kurzen Gedanken an das Original verliert: allerdings wird bei TraLaLit in vorzüglicher Wortwahl begründet, warum der deutschsprachige Titel mitunter sogar gewichtiger sein könnte als der Französische.

Mujila selbst widmet den Roman in einem kurzen Nachwort den Straßenkindern und den Musikern. Beiderlei ideologisch-naive tägliche Selbstzerstörung, die Eigenschaft sich trotz wachsendem Elend vollständig in der Musik zu verlieren und die nimmer sterbende Fähigkeit zum Träumen ist mutmaßlich dasjenige, was an diesen Figuren insgesamt verzaubert und überzeugt.


In diesem Land des Glücks, des schmutzigen Geldes
und des sauberen Geldes, des Tanzes der Teufel,
war alles möglich, solange noch
etwas Leben in einem steckte.“(268)


Fiston Mwanza Mujilas „Tanz der Teufel“ ist keine leichte Lektüre – obwohl sie stellenweise herzhaft leichtes Bauchlachen hervorruft. Längere Reflexionen sind auf dem Weg zum authentischen Kern der in Ironie gewickelten Wahrheiten und ihrer Komplexitäten unbedingt notwendig.

Allerdings werden Fans von südafrikanischem Jazz, zairischer Rumba, politischer Satire und exzentrischen, lauten Erzählstimmen in diesem Roman zweifelsohne einen wahren Lesegenuss vorfinden.

Hier geht’s zur Leseprobe.

Bibliografie:

Titel: Tanz der Teufel
Autor:in: Fiston Mwanza Mujila
Übs.:in: Katharina Meyer, Lena Müller

288 Seiten | 25,00 € (D)

Erscheinungsdatum: 14.03.2022
Verlag: Zsolnay
ISBN: 978-3-552-07277-0

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