Sinnliche Vielfalt. Gillian Anderson: „Want“

„Want“, herausgegeben von Gillian Anderson, ist eine Sammlung von Briefen über sexuelle Fantasien und Szenen der Lust und Befriedigung, die die Verfasserinnen normalerweise nur in ihren geheimsten Gedanken ausspielen.

Dieses Buch bietet eine bewundernswerte Vielfalt an Autor*innen, textueller Variationen, sinnlicher und körperlicher Perspektiven. Wir tauchen in viele Gedankenwelten und dürfen intimste weibliche Fantasien lesen – bereits die Prämisse stellt damit eine diskursive Revolution dar.

Die üppige Kollektion anonymer Texte bündelt diverseste Ansätze dessen, nach welchen Formen von Lust und Befriedigung Frauen* sich sehnen. „Want“ zeigt auf authentische Art und Weise, was wir körperlich, emotional und seelisch möchten, wollen und brauchen – und wovon wir uns – mit uns selbst, in uns selbst – in unseren wildesten Fantasiewelten tragen lassen.

Einige Verbesserungsvorschläge liegen meinerseits dennoch vor.


Die Schauspielerin und Aktivistin Gillian Anderson ist unter anderem für ihre Rollen in den Serien „Sex Education“, „X Files“, „Hannibal“ u. v. m. bekannt. In der britischen Erfolgsserie „Sex Education“ spielt sie die Sexualtherapeutin Jean Milburn – sicherlich eine Inspiration für das Konzept von „Want“.

Anderson bündelt mit „Want“ eine üppige Kollektion anonymer Briefe von Frauen* aus allen Ecken, Sphären, Ländern und Gesellschaften. Die Sammlung ist eine gut strukturierte und intensive Einführung in die sinnliche Welt weiblicher Fantasien, und beinhaltet Beiträge zu den wildesten – und den herkömmlichsten – Themen der weiblichen Gedankenwelt in puncto Lust und Begehren.


„Not so long ago I wished to be a man, […]
what I really wanted was to have
the privileges that men have.

Not only their rights and their safety,
but, mostly, their penis.“(7)


Denn unterschiedlichstes kann die Wünsche und Träume einer Frau* erfüllen – von Gruppensex mit Vampiren bis hin zu geliebt und in den Arm genommen werden.


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Die Texte sind zur besseren Zuordnung individueller Schreiberinnen mit einem respektiven Steckbrief ausgestattet: wir erfahren näheres über Nationalität, Religion, Einkommen, sexuelle Orientierung, Beziehungsstatus und ob die Schreibende Kinder hat oder nicht.

Obwohl hier in puncto Diversität mehr hätte getan werden können, sind beispielsweise auch Perspektiven von Menschen mit Behinderung oder asexuellen Individuen in geringen Maßen vertreten. Allgemeine Nenner wie Alter, Beruf, Herkunft sowie Einkommen werden in einer beeindruckenden Bandbreite berücksichtigt – und dienen durchgehend gelungen zur Betonung dessen, dass Lust und Begehren Gefühle sind, die Menschen jeder Herkunft, Hautfarbe und sozialer Klasse verbinden.

Dank der Einteilung in thematische Kapitel können Lesende sich ausführlich in vielen Facetten der fantastischen und realistischen Sinnlichkeit einfinden. Diese werden je mit Reflexionen von Anderson eingeleitet, die zum analytischen Denken über die entsprechenden Themenkomplexe anregen.


This is fantasy’s ultimate offering:
the chance to live momentarily outside of reality […],

indulge our deepest desires and submit
absolutely and with unreserved abandon.(44)


Die Variabilität der Stile und Perspektiven einzelner Fantasien gleicht den argumentativ etwas repetitiven Inhalt der Kapitel aus – wiederum fungiert das in Teilen gehäufte Wiederauftreten von bestimmten Fantasien als Normalisierung von Freiheit und Sinnlichkeit, sodass frau sich selbst gleich mehrmals als erkannt und bestätigt fühlen darf.

Auch eine literarische Vielfalt ist somit gegeben: Die Authentizität der Texte bedingt ihre argumentativ ambivalente Qualität. Doch haben zumindest mich persönlich fast alle Texte aufgrund ihrer persönlichen emotionalen und intimen Tiefe gleicherweise gefesselt.

„Want“ ist ein idealer Begleiter für Leserunden, da diese Sammlung sexuelle Vielfalt, das Recht zur sinnlichen Selbstentfaltung und Selbstliebe unterstreicht – zu normalisieren, dass Frauen* sexuell frei sind und auch beim darüber Sprechen weder Scham noch Scheu fühlen, ist enorm wichtig.

Dass das Lesen der Fantasien anderer der eigenen Gedankenwelt Inspiration und neue Farben verleihen könnte, ist ebenso kein Nachteil.


Meckern auf hohem Niveau wäre der Wunsch nach mehr Diversität, denn Frauen* mit Behinderung sowie die Randgebiete des queeren Spektrums kommen in „Want“ argumentativ etwas zu kurz.

Zu einem lehrreicheren und weiterführenden Leseerlebnis hätte überdies ein Verzeichnis wissenschaftlicher Literatur oder zumindest eine Liste mit Lektüreempfehlungen verholfen, die gänzlich fehlt. Einerseits ist diese Entscheidung verständlich, da es sich hier um ein zwischenmenschliches Erlebnis und einen Ort seelischer Berührungen handelt – doch ist es auch ohne die Briefe irgendwie sachlich einordnen zu wollen unmöglich nicht analytisch über sie zu sinnieren.

Gillian Andersons reflexives Zwischenspiel empfand ich persönlich nämlich als anregend, doch ultimativ nicht ausreichend.

Summarum spreche ich dennoch eine Leseempfehlung für diese sinnliche Reise aus – und empfehle das Buch insbesondere für Leserunden in intimen Kreisen, in denen weiterführende Lektüren dann gerne gemeinsam als Hausaufgabe erarbeitet, ergänzt und besprochen werden können.

Meinerseits erfreue ich mich an thematischen Buchtipps Deinerseits in den Kommentaren dieses Beitrags.

Bibliografie

Titel: Want
Autor*in: Gillian Anderson

400 Seiten | ab 12,75 € (Tb)

Erscheinungsdatum: 17.09.2024
Verlag: Abrams Press

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Kategorien:Home, Neuerscheinungen, Sachbuch

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1 Antwort

  1. Hi Sandra,

    das Buch habe ich vor kurzem auch gelesen. Ich hatte, da ich aus der Bibliothek entliehen hatte und die Frist ablief, in recht kurzer Zeit gelesen und muss sagen, dass das wohl ein Fehler war. Denn so war es ein ziemlicher Overload der unterschiedlichsten Themen, Erzählweisen und Fantasien, der es mir irgendwann schwer machte, mich noch darauf einzulassen. Ebenso wie du, hätte ich mir mehr Einordnung bzw. weiterführende Informationen oder Buchtipps gewünscht.

    Mir hat vor einiger Zeit „Was wir lieben“, herausgegeben von Lucy-Anne Holmes, sehr gut gefallen. Es ist ebenfalls eine Zusammenstellung sexueller Fantasien von (cis und trans) Frauen, das in meinen Augen aber deutlich schöner gestaltet ist, dafür aber auch deutlich weniger Beiträge enthält. Eine Perspektive, die dort zur Sprache kommt, in „want“, wenn ich es richtig im Kopf habe, jedoch nicht, ist die einer Sexarbeiterin.

    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
    Celina

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    • Liebe Celina, schade, dass „Want“ dich nicht fesseln konnte, für mich persönlich war es ein sehr schönes Erlebnis, aber ich wusste auch ganz genau, worauf ich mich da einlasse und hatte trotz Kritikpunkten richtig viel Spaß bei der Lektüre.

      Eventuell wäre „Sex lives of African Women“ ein guter Tipp für dich, da es viel ums Selbstverständnis, Selbstfindung, Resilienz und das Erkennen des eigenen Wertes geht. Mehr sind es Beziehungsgeschichten mit Fokus auf Sexualität und Selbstliebe.

      Auch dir ein schönes Wochenende!

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    • PS. Danke für den Buchtipp, „Was wir lieben“ schaue ich mir definitiv auch an.

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