Der Preisgekrönte Journalist und Autor Daniel Schulz (* 1979) studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig. Er arbeitete unter anderem für das Berliner Stadtmagazin Zitty, die Märkische Allgemeine und die ukrainische Zeitung Kyiv Post. Schulz erhielt 2018 den Reporterpreis und 2019 den Theodor-Wolff-Preis. 2022 erschien sein vielbeachteter Roman „Wir waren wie Brüder“. Derzeit berichtet er bei der taz.
Im neuen Buch „Ich höre keine Sirenen mehr“ sammelt Schulz Eindrücke, Gedanken und Ermittlungen von seinen Reisen in der Ukraine vor und während des russischen Angriffskriegs. Er reflektiert die Vorgeschichte, die Auswirkungen und das Ausmaß der Kampfhandlungen und der Zerstörung in diversen Städten – und malt eine intensive, entsetzliche Landschaft aus.

Daniel Schulz berichtet in fesselnden, bewegenden Kapiteln über diverse Facetten von Krieg und Alltag in der Ukraine.
Mit intensiver Gefühlspalette und viel Informationsgehalt skizziert er in „Ich höre keine Sirenen mehr“ ein multiperspektivisches Panorama an Begegnungen, Momentaufnahmen, Lebensgeschichten und Schicksalen – die durch die entsetzlichen Ereignisse in der Ukraine für immer belastet sein werden.
Schulz gelingt mit diesem Buch allerdings auch eine faszinierende Mischung: aus Berichten durch die Augen von Repräsentant*innen der diversesten gesellschaftlichen Sphären entsteht eine inspirierende Reihe an Portraits von bewundernswerten Individuen mit erstaunlicher Resilienz.
Zeitgleich wird Stück für Stück, Stadt für Stadt, Bild für Bild die herzzerbrechende Realität eines zunehmend zerstörten Landes ausgemalt.
„Im Sommer 2013 bin ich das erste Mal
in die Ukraine gefahren.
Und nur im ersten Jahr meiner Bekanntschaft mit
diesem Land habe ich es in Frieden erlebt.“(11)
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Die einzelnen Kapitel sind thematisch selbstständig, doch am besten zusammenhängend lesbar: Sie spielen in den Jahren 2015/16, 2018, 2022, zeigen Lesenden Lwiw, Kyjiw, Charkow, Jahidne und viele andere ukrainische Gebiete.*
Schulz geht kausal vor, vergleicht Eindrücke aus dem Land in diversen Phasen, aus außen- und innenpolitischer Sicht, bindet die Lebensgeschichten der Kontakte anhand ihres respektiven Werdegangs zusammen – und erzählt so die Geschichten unterschiedlichster Menschen, die in der Ukraine geblieben oder dorthin zurückgekehrt sind, um auf die eine oder andere Art und Weise für ihr Land zu kämpfen.
Hierbei spricht der Autor ungemein viele wichtige Aspekte an, die aus der täglich weiterlaufenden Auseinandersetzung mit den Akteuren, Fronten und historischen Orten der Kämpfe hervorgehen: beispielsweise die soziokulturellen und kulturhistorischen Aspekte, sowohl im Sinne einer identitären Spaltung als auch im Sinne der ethnischen Vielfältigkeit und Reichhaltigkeit auf den jeweiligen Territorien.
In diesem Rahmen wird vorab erläutert, warum und wie die Begriffe „russisch“ und „russländisch“ aufgrund der Nutzung in der Originalsprache funktionieren, und wieso Schultz diesen Sammelbegriff für die 160 in der Russländischen Föderation lebenden Ethnien in einem geografischen Zusammenhang versteht und verwendet.
Alltägliches – oder was im Krieg eben als alltäglich gilt – findet hier überall einen Platz, stellenweise fühlt mensch sich als Lesender absolut mittig im Geschehen.
Ob es um die Herstellung von kugelsicheren Westen, die Bedienung von Aufklärungsdrohnen oder die immer wieder erklingenden Sirenen des Luftalarms geht – in jede Sphäre des Alltags dürfen Lesende Daniel Schulz begleiten.
„Als die beiden Mariupol hinter sich gelassen haben,
begegnet ihnen eine Kolonne russländischer Panzer.
[…]
Er dreht den Turm, bis seine Kanone auf ihr Auto zeigt.“(134)
Schulz ersucht nicht nur den Kontakt mit der sogenannten kulturellen Elite, sondern blickt in zahlreichen Begegnungen in die Normalität eines Ausnahmezustands – dies in Dialogen und Interviews mit Mediziner*innen, Handwerkern, Soldat*innen, Volontär*innen, Lehrer*innen und vielen anderen Individuen.
Er untersucht mithilfe von komplexen Fragen an seine Gesprächspartner*innen innere Konflikte zwischen beispielsweise der Identität als Soldat und Teil des Militärs einerseits, der Angehörigkeit zur rechtsextremen Szene andererseits. Sofern sind andere wichtige Brennpunkte wie queere Rechte und LGBTQ+-Initiativen in einem traditionalistisch geprägten Land ein in diesem Buch ebenso umfassend behandelter Themenbereich.
Schließlich geht es um die einfachsten und doch schwierigsten Fragen, die jede*r Ukrainer*in sich derzeit täglich stellen muss: Was es bedeutet, ukrainisch oder russisch zu sein; wer am Krieg schuld ist; ob es okay ist, jemandem den Tod zu wünschen – und wie viel ein Sieg noch kosten könnte.
Unglaublich wertvoll und authentisch liest sich auch die Stilisierung als Tagebuch, denn Schulz berichtet nicht nur über andere bemerkenswerte Individuen, sondern öffnet auch sich selbst seiner Leserschaft.
Er gibt zwar vielen anderen eine Stimme, erlaubt jedoch auch auf seine eigenen innersten Gefühle zu schauen – hervorragend balanciert aus pragmatischen und emotionalen Positionen, ungestellt und wortgewandt, als Rahmen für die Schilderungen anderer gelungen inszeniert.
„Die Angst findet mich auch hier. Das klingt vielleicht seltsam,
denn wo sollte sie mich sonst finden, wenn nicht im Krieg.
Aber ich hatte mir das anders erhofft.“(161)
Schlussendlich thematisiert Schulz in seinem Buch auch die Wichtigkeit des Buchs an sich: Als Aufklärungsmittel, als Einstieg für diejenigen, die sich nicht im Detail mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auseinandergesetzt haben, die sich jedoch über die breiteren Umstände informieren und am liebsten zusätzlich eine zwischenmenschliche Perspektive auf den Alltag eines zeitgenössischen Krieges gewinnen möchten.
Es wird zudem beispielsweise im Gespräch mit Olga Rudenko, der Chefredakteurin des Kyiv Independent erwähnt, dass ein Krieg – wenn er auf der internationalen Medienlandschaft denn opportun behandelt wird – bestenfalls etwa drei Monate lang Aufmerksamkeit erhält.
Genau aus diesem Grund sollten weder Menschen noch Medien den Ukrainekrieg als Trend betrachten oder vergessen. Genau aus diesem Grund gilt es, auch nachdem neue Verlagsprogramme neue Themen in den Vordergrund stellen – die für eine sensationalistisch orientierte Massengesellschaft „frischer“ „interessanter“ sein könnten –, nicht zu vergessen, dass in der Ukraine weiterhin gekämpft und gestorben wird.
Es gilt, sich weiterhin zu tagesaktuellen Entwicklungen zu informieren und, meiner persönlichen Meinung nach, die Ukraine auf dem Weg zurück zur Autonomie zu unterstützen.
Daniel Schulz‘ „Ich höre keine Sirenen mehr“ ist als informatives Juwel eine Form dieser Unterstützung und gehört schon aus diesem Grund in jedes reflektierte Bücherregal.
Genau diese Mischung aus Brutalität und Menschlichkeit, aus Mut im Angesicht des Todes, aus vielen Individuen und Interviews mit den unterschiedlichsten Charakteren, aus scharfsinnigen und sachlichen Analysen – benötigen Europäer*innen, um auch nur einen Hauch vom vollen Ausmaß des Krieges in der Ukraine spüren zu können, der weiterhin wütet und täglich Menschenleben kostet.
Also: Lesen!
Hier geht’s zur Leseprobe.
* die jeweilige Schreibweise wurde den entsprechenden Quellen im originallaut entnommen.
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Bibliografie:
Titel: Ich höre keine Sirenen mehr
Autor*in: Daniel Schulz
272 Seiten | 24,00 € (D)
Erscheinungsdatum: 26. April 2023
Verlag: Siedler / Penguin Random House
ISBN: 978-3-8275-0167-7
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