Perspektive. Buch vs. Film: Adaption und Interpretation der „Schachnovelle“

Wie viel kreative Freiheit sollte eine Adaption gegenüber seiner Vorlage erhalten? Kann eine Filmadaption als gelungene Ergänzung betrachtet werden, auch wenn sie eine fast schon vollständig andere Geschichte erzählt?

Anhand der „Schachnovelle“ von Stefan Zweig gehe ich diesen Fragen heute auf den Grund.


In der neuen Rubrik Perspektive möchte ich etwas persönlicher beleuchtete, subjektiv schattierte Gedanken zu tagesaktuellen Themen aus der mich umgebenden und von mir rezipierten literarischen Landschaft formulieren.

Im heutigen Beitrag grüble ich über Adaption und Interpretation einer Buchvorlage – da ich zur Verfilmung der „Schachnovelle“ sehr ambivalente Gedanken hegte.


© S. Fischer

„Schachnovelle“ von Stefan Zweig ist eine knappe doch komplexe, ungemein spannende, außergewöhnliche Geschichte.

Die Novelle verdient das Siegel eines sprachlich ausgeschmücktes Meisterwerks –

in diesem Text dürfen Lesende nicht nur die vorzüglich gebaute unverhoffte Begegnung an sich, sondern jeden Satz als sprachliches Kunstwerk genießen.

Die Handlung – á la Zweig’sche Vorlage – beginnt auf einem Kreuzfahrtschiff, aus den Augen einer Beobachterfigur.

Dieser kommt zu Ohren, dass sich der amtierende Schachweltmeister auf dem Schiff befindet – ein Mitreisender, der in Schachwelten wesentlich bewanderter ist, klärt ihn über Aufstieg, Hintergrund, und Faszination mit dem ungewöhnlichen Mann auf.


Eine Begebenheit führ zur nächsten, ein pompöser Geschäftsmann lässt eine beträchtliche Menge Geld springen – und der Weltmeister ist einverstanden, gegen die Passagiere zu spielen.


Offensichtlich hat niemand eine Chance gegen ihn.

Bis aber ein etwas nervöser Mann auftaucht, der die Schalen der Fortuna vollständig umkippt.


Divergierend ist die Exposition im Film.


© Arthaus / Studiocanal

„Schachnovelle“, im Englischen als „Chess Story“ oder auch „Royal Game“ überliefert, ist ein Filmdrama des preisgekrönten deutschen Regisseurs Philipp Stölzl, der bei Filmen wie „Nordwand“, „Goethe!“ und „Der Medicus“ Regie geführt hat.

Ebenso inszeniert er Opern in Stuttgart, Salzburg, Dresden, München et cetera, und hat bei diversen Musikvideos Regie geführt.

Stölzl verzichtet in seiner Interpretation auf die Beobachterfigur und schwenkt die Kamera vollständig auf Dr. B.

Die im Roman als vermeintliche Nebenfigur positionierter, der an letzter Stelle auftretende Dr. B. wird als Vermögensverwalter beschrieben – in Österreich 1938 interessierten sich die Nationalsozialisten für ihn, da er Vermögenswerte der Klöster versteckt hat.


Sie hielten ihn über Monate in Einzelhaft in einem Zimmer des Hotels Metropol in Wien, das zur Gestapozentrale umgebaut wurde. In diesem war ihm jede Ablenkung verwehrt, selbst der Ausblick aus dem Zimmer ging nur auf eine Feuermauer.

Der Film setzt den Fokus ganz auf Bartok – darauf, wie er sich mithilfe des Schachspiels von einem vollständigen geistigen Zerfall bewahren konnte und wie diese ungewöhnliche traumatisierende Erfahrung ihm das Schachspiel nun unmöglich macht.


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Stefan Zweig gehört zu den bedeutenden deutschsprachigen Erzählern nicht nur zum Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern sollte diese Position auch in zeitgenössischen Diskursen behalten. Nicht nur ist seine Sprache ist durch eine hohe Anschaulichkeit und klangliche Gefälligkeit gekennzeichnet – auch sind die Werke besonders, da in ihrer Erzählweise und stilistisch Mitteln dem Realismus verpflichtet.

Zweig ehrt in seinen Texten zwar klassische Elemente, darunter einen dramatischen Handlungsverlauf, mit einer psychoanalytischen Figurenzeichnung und mit verschiedenen Perspektiven, bleibt aber in realistischen Gefilden und präferiert keine modernistischen Erzählweisen, wie so viele seiner Zeitgenossen. So bot Zweig seiner breiten Leserschaft einen Zugang zu einer Literatur, in der ihre Gegenwart reflektiert wurde, die komplex und linear zugleich war; vielschichtig und doch – um dieses unschöne Wort mal wieder zu benutzen – Massenkompatibel.

Kein Wunder, dass ich nicht aufhören konnte, diese Geschichte zu lesen, ehe ich sie beendet hatte. Die psychologische Vielfältigkeit und die Metaebenen ums Spiel, um die Sucht, um das Trauma – alles faszinierende Aspekte, denen die Filminterpretation gerecht wird und um ein beeindruckendes visuelles Imaginarium ergänzt.

Im Ausklang, wie in der Perspektivensetzung und Exposition divergiert der Film.

Kann die Geschichte somit überhaupt noch dieselbe sein?

Klar ist: Es werden hier für einen bestimmten Typ Film klassische Szenen und Konflikte und Figurenkonstellationen konstruiert, die den Eindruck des Films an denjenigen Stellen stärken sollen, wo Spannungen fehlen – weil der Film nicht der Vorlage folgt und Leerstellen wieder füllen muss.

Einiges funktioniert, einiges nicht.

Um beide Varianten sachlich zu vergleichen:

Von der reinen Methodologie betrachtet liegt hier einerseits eine traditionalistisch konzipierte Novelle vor, die, auf eine unverhoffte Begebenheit zielend – wie eine Novelle dies auch zu tun hat – zwei sehr interessante Figuren zueinander führt und die Begegnung als Klimax konstruiert.

Ein Film jedoch – sofern er Kasse machen möchte – muss die Entwicklungs- oder Leidensgeschichte eines außergewöhnlichen Helden verkaufen, dem außergewöhnliche Sachen passieren – und diese ästhetisch und empathisch ausstaffieren, visuell und auditiv schmackhaft machen.


Ganz klar ist, dass hierfür nicht eine Adaption, sondern eher eine Interpretation als logische Lösung vorschwebt – Stölzl hat eben eine vorliegende Geschichte verarbeitet und mit eigenen Ideen, Optionen, Figuren und Ereignissen ergänzt.

Positiv ist hervorzuheben, dass die hauptsächliche Perspektive als gelungene Interpretation der Handlung funktioniert und für Fans der Novelle zusätzlichen Reflexionsboden bietet, um die Geschichte einmal neu zu denken.


Warum hierfür aber auf einige Figuren verzichtet werden konnte, einige Figuren eine andere Rolle und ein anderes Gewicht für die Handlung erhielten – und einige Figuren hinzukamen, um die von anderen weggelassenen Figuren erzeugten Leerstellen zu füllen?

Für mich persönlich ist einiges an der Filminterpretation unnötig und irritierend hervorzuheben.

Ob ich den Film dennoch für sehenswert halte, welche neuen Figuren für einen gelungen düsteren Twist sorgen und welche meines Erachtens vollständig überflüssig sind, erfährst Du im Video zum Thema.

Ich freue mich auf Deine Gedanken zu Buch und Film.

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