Elsa Koesters literarische Vision der aktuellen politischen Landschaft in Form einer fiktiven ostdeutschen Kleinstadt lässt angesichts unmittelbarer Entwicklungen unserer jetzigen Gegenwart schaudern, fürchten – und des Öfteren entsetzliche Sachverhalte wiedererkennen.
Warum habe ich diesen in Teilen treffsicheren, situativ amüsanten, queer angehauchten, charismatisch anmutenden Roman über grün-blaue Konflikte und deutsche Realitäten dennoch abgebrochen?
Elsa Koester ist Journalistin und stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung Der Freitag. Sie hat politische Kundgebungen in Görlitz beruflich beobachtet und – unter anderem – aus diesen Eindrücken die fiktive Stadt Grenzlitz erschaffen, in der eine Berliner Coachin auf großer Mission zum Erfolg einer jungen Politikerin helfen möchte.
„Zwei Meter Paul Witte.
Plötzlich steht er vor mir,
der von den Blauen.„(7)
Nana war noch nie in Sachsen. Doch jetzt stehen Wahlen an, und sie kommt in eine vom Wahlkampf erhitzte Stadt, ins Land der Wölfe, um dort einen rechten Oberbürgermeister zu verhindern.
Dass die erste Konfrontation mit diesem auf der ersten Seite beschrieben wird und Paul Witte in einem geradezu romantisch-mystischen Licht gezeigt wird, sei zunächst dahingestellt. Denn das ist schließlich nicht der Grund, warum Nana in Grenzlitz anreist.
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„Deshalb bin ich hier.
Und nicht wegen Noah.
[…]
Nein, wegen Katja bin ich hier in Grenzlitz.“(17)
Elsa Koester versteht es, eine interessante und ambivalente Erzählwelt aufzubauen. Als die Coachin Nana aus Berlin-Neukölln ins sächsische Grenzlitz reist, um der Zukunftsgrünen Katja Stötzel auf ihrem Weg zur Bürgermeisterin behilflich zu sein, wird Lesenden die Stadt nach und nach durch Nanas Augen gezeigt.
Eine bunte Landschaft aus Seitenscheiteln, Ärger aus dem Weg gehenden BiPoc-Personen, im Wald Baumhäuser bauenden Hippies und Betreiberinnen veganer Cafés baut sich auf. Im Kern des Ganzen: die mystischen Pole Katja Stötzel und Paul Witte.
Grün und blau.
Ob diese Polarisierung irgendwann auf einen politischen oder menschlichen Konflikt und Aufprall hinführt und was zum Schluss dieser Geschichte passiert, bleibt für mich offen – denn was Elsa Koester meines Erachtens leider nicht versteht, ist es, einen stringenten roten Faden innerhalb dieser Erzähllandschaft zu ziehen, der sich durch die gezeigten Flecken von Grenzlitz zieht und den Leser immer wieder fesselt, kitzelt, provoziert – also auch zum Weiterlesen bewegt.
Die Handlung verliert sich in einer viel zu ambitionierten Vielfalt, deren Ausführung nicht gelingt.
„Sie dürfen nicht mit ihr spielen.
[…]
Deshalb gehen wir […] um 18 Uhr auf den Spielplatz.
Wenn die Deutschen zu Abend essen.“(59)
Trotz einiger interessanter Momente können die Handlungslinien nicht zusammengehalten werden, es fehlen Tiefe und Kontraste. Zu viele und zu eindimensionale Mitglieder hat das Ensemble bereits zum ersten Drittel bekommen: Orte und Szenen, die der Stadt als Kulisse mehr Ebenen verleihen sollen, fallen figurenpsychologisch und inhaltlich nichtssagend aus.
Nana selbst geht in ihrer Funktion als Figur nicht auf, die eingewobenen Passagen über ihr Leben tragen der Haupthandlung nicht genügend bei und muten informativ überflüssig an. Zudem sind die in Kursivschrift gestalteten Kapitel visuell sehr unangenehm zu lesen. Es hätte dieses Mittel wirklich nicht gebraucht, um einen Perspektivenwechsel zu indizieren – wenn Szenen klare Konturen haben und alleine stehen können, sind die Linien zwischen ihnen aus dem Text deutlich wahrnehmbar.
In meinen Augen wird in „Im Land der Wölfe“ eine Gute Idee mit einer Übersättigung an Informationen, Ansätzen und Figuren ohne Nachhall zu einer durch und durch lauwarmen Lektüre – die ich mit viel Interesse begonnen doch nach der Hälfte abgebrochen habe.
Dass die aktuelle politische Landschaft ein wichtiges Thema ist und auch literarisch unbedingt verarbeitet gehört; dass gerade weibliche Perspektiven und weibliche Teilehmerinnen in dieses Panorama gehören – das alles steht meines Erachtens außer Frage. Doch im selben Roman eine scharfsinnige Analyse unserer unmittelbaren Gegenwart, eine queere Liebesgeschichte, einen Geschwisterkonflikt und zig weitere Figuren zu verpacken hätte in meinen Augen mehr literarische Finesse – und mehr kompositorisch durchdachte Kapitel – gebraucht.
Weniger wäre in meinen Augen mehr gewesen, und in seiner jetzigen Form kann ich „Im Land der Wölfe“ daher leider nicht empfehlen.
Schade!

Bibliografie
Titel: Im Land der Wölfe
Autor*in: Elsa Koester
320 Seiten
Erscheinungsdatum: 21.08.2024
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
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