Nicht mehr, nicht weniger. Paola Lopez: „Die Summe unserer Teile“

Im Roman „Die Summe unserer Teile“ erkundet Paola Lopez die Möglichkeit weiblicher Räume an Universitäten und Institutionen – und zeigt die Opfer auf, die für die Besetzung dieser Räume gebracht werden müssen. Lopez skizziert in diesem drei Generationen umspannenden Buch die Diskrepanz zwischen den Identitäten einer Frau: leidenschaftliche Wissenschaftlerin und pflichtbewusste Mutter.

Wenngleich die historische, geographische und psychologische Prämisse der Geschichte enorm ansprechend anmuten, ergibt sich aus der Lektüre die unglückliche Ironie der Titelwahl – denn in meinen Augen ist Lopez‘ Roman genau das, lediglich die Summe ihrer Teile.


Die Wiener-Berliner Mathematikerin Paola Lopez ist derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen tätig und schreibt zudem eine Kolumne zum Thema künstliche Intelligenz für die Kulturzeitschrift Merkur. „Die Summe unserer Teile“ ist Lopez‘ Debütroman.

Das Buch transportiert Lesende in gefühlt willkürlicher Sequenz an drei Orte und in drei Dekaden, es lässt uns an drei Lebenslinien teilhaben. Drei starke Protagonistinnen sollen das Handlungsgerüst aufrecht erhalten, es soll ein organisches Gewebe entstehen, welches aus großen Themen zwischen den semantischen Feldern Pflicht–Neigung, Wissenschaftlerin–Frau, Mutter–Tochter, eine spannende Geschichte erzählt.

Als Idee funktionieren auch alle genannten Ansprüche: Die Großmutter flieht im Zweiten Weltkrieg aus Polen in den Libanon, wo sie als eine der ersten Chemikerinnen arbeitet. Die Mutter verlässt den Libanon für ein Leben in Deutschland, sie ist eine angesehene Medizinerin. Die Tochter studiert Informatik – und besteht scheinbar auch aus ihr: Lucys Gedanken- und Vorstellungswelt und somit auch ihr Sprachgebrauch sind ganz und gar von Codes und Programmen durchwachsen.


Über eine Zeitspanne von siebzig Jahren hinweg erzählt Paola Lopez die Familiengeschichte der dreier Frauen, die sich – im unterschiedlichsten Sinne – ein freies Leben erkämpfen müssen. Dies lässt sie auseinandertreiben, und am einen oder anderen Punkt im Buch suchen sie eine Verbindung zueinander, wollen eine verlorene Verknüpfung wiederherstellen, reflektieren jeweils über ihre argumentativ misslungene Rollenbesetzung als Mutter oder Tochter.

Allerdings war in meinen Augen schon die Wahl der ersten Perspektive misslungen, die skizzierte Figur zu künstlich, die Exposition zu erzwungen.


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Lucy, die jüngste der drei Protagonistinnen – die Enkelin – hat die Kommunikation mit ihrer Mutter abgebrochen und geht in ihrer WG ihrem Informatikstudium und ihrem etwas chaotischen Leben nach. Bis plötzlich ein Klavier in ihre Wohnung geliefert wird: Der Steinway, auf dem Lucy als Kind spielen lernte, der die fehlende Nähe zu ihrer Mutter und die Kälte ihrer Kindheit verkörpert.

Das Klavier bietet neues Wissen über ihre Familiengeschichte und inspiriert Lucy dazu, nach Polen zu reisen, wo ihre Großmutter ursprünglich lebte, um in ihrer bisher unbekannten Vergangenheit zu forschen. Es werden Türen für eine Perspektivenerweiterung und figurenpsychologische Entwicklung geöffnet, die durchaus interessant sind und Besserung in puncto Figurendynamik und Handlungsgeflecht versprechen.

Doch las ich meinerseits bereits an dieser Stelle auf Bewährung, denn das von IT-Sprache übersättigte erste Kapitel hat weder in puncto Dynamik noch in puncto Aussagekraft viel zu bieten. Lucys Freund*innen erhalten keine authentischen Charakterzüge, das plötzliche Auftauchen des Klaviers wird in die Länge gezogen, es wird kein Gleichgewicht von innerer und äußerer Entwicklung angestrebt.


Glücklicherweise wird die Handlung um die Perspektiven der Mutter und der Großmutter erweitert, deren respektive Biografien und Beziehung zueinander um einiges interessanter sind als die bisher fokussierte Geschichte Lucys.

Gelungen gewesen wäre eine Komposition, in der die Enkelin mit ihrer Erkundungsreise lediglich ein einrahmendes Fass der Vergangenheit öffnet, und von da an vorrangig den Leben der Mutter sowie der Großmutter tiefer, nuancierter, kontrastreicher auf den Grund gegangen wird. Doch wurde hier nicht nur die in meinen Augen uninteressanteste Person bevorzugt, sondern für alle drei Protagonistinnen eine Darstellung statt einer Analyse vorgenommen. Vielversprechende Lebensgeschichten waren schnell erzählt; die für alle Figuren erhofften Entdeckungen, Entwicklungen und Auflösungen blieben jeweils auf der Strecke.

Überdies ärgerte mich die unnütze Begegnung in Polen: Weder erzählerisch nachhaltig noch inhaltlich originell wird eine weitere eindimensionale Figur in diejenige Handlungsebene eingebettet, die schon zum Beginn der Geschichte am wenigsten interessiert.


Ja, Konflikte werden in den Raum gestellt. Die Schuld, die Antipathie und die Kälte einer Mutter als valide Teile des emotionalen Spektrums im Bezug zu dem eigenen Kind werden angesprochen. Doch weder findet eine Konfrontation noch eine Klärung noch ein tieferes Nachdenken über die entsprechenden Szenen und Probleme statt.

So bleibt Paola Lopez‘ Roman leider genau das, was er eigentlich nicht sein möchte: lediglich die Summe ihrer Teile.

Als klar getrennte Kurzgeschichten über individuelle Figuren hätte dieses Buch gegebenenfalls noch funktioniert. Doch meinerseits kann ich für den literarischen Versuch in dieser Form leider keine Leseempfehlung aussprechen.

Bibliografie

Titel: Die Summe unserer Teile
Autor*in: Paola Lopez

256 Seiten | 24,00 € (D)

Erscheinungsdatum: 15.03.2025
Verlag: Tropen

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