Die Künstlerin, Kuratorin und Autorin Moshtari Hilal stellte ihre Werke bereits in Berlin, Paris, Madrid, Teheran und New York aus. Sie ist Mitgründerin des Kollektivs AVAH (Afghan Visual Arts and History) und des Rechercheprojekts CCC (Curating Through Conflict with Care) in Berlin.
Hilals neuestes Buch „Hässlichkeit“ verschmelzt Lyrik mit Essay, spielt sachliche Töne in Harmonie mit emotionalen Akkorden – und geht als Monografie, Gedicht und Essay gleichermaßen tief unter die Haut.

Moshtari Hilals „Hässlichkeit“ ist ein eklektischer, intensiver, wechselhafter und authentischer Textkorpus, der sowohl diskursive als auch strukturelle Normen transzendiert.
Gedichte wechseln Essays ab, emotionale Reflexionen aus der eigenen Kindheit werden mit wissenschaftshistorischen Erörterungen gemischt.
Und eigentlich – so die Künstlerin selbst – handelt dieses Buch von Bildern; von Blicken, vom Sehen und Gesehenwerden.
Denn während Hilal in ihrem Text Erkenntnis, Dekonstruktion, Kritik und Versöhnung anstrebt, muss sie zunächst die Konfrontation mit der eigenen Idee von Hässlichkeit wagen.
Hässlichkeit bedeutet für die Autorin etwas enorm intimes, denn es ist ein Begriff, der von dem Gesicht – und von dem Körper – versinnbildlicht wird, die Hilal aus dem nächsten Spiegel entgegenblicken.
Sie selbst verkörpert Hässlichkeit.
Nicht nur als junges Mädchen sondern als Teil einer Familie aus Frauen, die ihr ähnlich sehen; als Teil einer Gesellschaft, die aus archaischen, hinterwäldlerischen, überholten Gründen nach glatten, weißen und symmetrischen Oberflächen suchtet.
Von denen Hilal grundlegend weder ein Teil ist noch einer sein möchte.
Der Weg zum Selbstbewusstsein führt allerdings über ein heißes Pflaster mit vielen scharfen Kanten und heimtückischen Hindernissen, zu denen sowohl Freund*innen als auch Kolleg*innen und Familienmitglieder gehören, die von den gleichen Normen und Konventionen geprägt sind; die so programmiert sind, dass sie sich nie in der eigenen Haut wohlfühlen können, dürfen oder gar wagen, dies zu wollen.
Dass das ihnen sogar zustehen könnte, bleibt außerhalb des Vorstellbaren.
Toxische Denkmuster und konstruierte Vorbilder, von denen Hilal sich klar trennen, emanzipatorisch weiterentwickeln möchte – da diese nichts mit einer erstrebenswerten Realität zu tun haben sollten.
„Ich hatte sie vor Augen,
kannte jeden Millimeter des Körpers dieser Frau.
Ich übte mich in Gedanken darin,
ihren Körper zu tragen wie eine fremde Haut,
die mir gehören sollte.“(17)
Um auf einer persönlichen Note auszuschweifen, muss ich an dieser Stelle gestehen: Ich wollte dieses Buch auf den ersten Blick nicht mögen, da es subjektiv gelesen erst einmal selbst nicht weiß, was es sein möchte.
Ist es nun Sachbuch oder Belletristik – Wissenschaft oder Seelensorge?
Als Liebhaberin stringenter Monografien und strukturiert linearer Sachtexte suchte ich in „Hässlichkeit“ vergebens nach vertrauten Mustern und erstrebter Gradlinigkeit.
Während der Lektüre wuchsen Gewicht und Überzeugung von den mittlerweile meinerseits als Tatsache erkannten Verhältnissen im und ums Buch: Die Identitätskrise dieses Buchs stellt ihm Komplexität dazu, verhilft zu einem authentischen Gesamteindruck.
Hilals Monografie-essay-gedicht möchte nun mal weder unkompliziert noch vorhersehbar sein.
Gut so.
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Eher mutet das Buch – sofern mensch sich auf die Besonderheiten und Formenvielfalt einlässt – freundlich als literarische große Schwester an, die eine überdurchschnittliche emotionale Intelligenz besitzt und ebenso ganz zufällig an mehreren Universitäten promoviert.
Denn sowohl auf persönlicher als auch auf kulturhistorischer, auf sozial- und systemkritischer Ebene liefert Hilal – tiefsinnig und feinfühlig, scharfsinnig und fundiert.
„Wenn das derartige perfekt nicht-kriminelle Gesicht
käuflich ist, ist die diagnostizierende Gesichtserkennung
ein Instrument der Regulierung der Armen allein,
die sich keine neuen Gesichter leisten können.“(77)
„Hässlichkeit“ bietet eine kompakte Historie der Rhinoplastik, kontextualisiert Hässlichkeit als pathologisch im Rahmen der Physiognomik oder der Kriminologie; stellt diese Gedanken und stigmatisierte Unregelmäßigkeiten den Idealen der Normästhetik gegenüber – um anhand der geschaffenen zeitlichen, räumlichen und philosophischen Anhaltspunkte eine menschliche, universalhumane, persönliche und doch nachvollziehbare Position zu erörtern.
Zugleich mahnt sie – sowohl sich selbst als auch ihre Lesenden – vor der Konstruktion von Hässlichkeit, die aus Hilals Perspektive unumgehbar und geradezu notwendig für eine – jede – von Konventionen getragene Gesellschaft sei.
„Kein Vergleich ist universell, statisch und zeitlos.
Wenn aber Hässlichkeit immer wieder
allein durch unser soziales Miteinander
geschaffen wird, welche Form von Gesellschaft
braucht dann keine Hässlichkeit?“(197)
Ob Moshtari Hilals Gedanken und Perspektiven in „Hässlichkeit“ schlussendlich auf ein kulturpessimistisches, zynisches, skeptisches oder realistisches Menschenbild hinweisen, bleibt argumentativ offen und bietet Resonanzboden für divergierende Perspektiven.
Als gleichermaßen geeignetes Werk für Gespräche, Leserunden und Dialoge, die größtenteils abseits des Wissenschaftlichen und tief im Persönlichen stattfinden – sowie für wissenschaftskritische, rund um soziopsychologische Konstrukte und die kulturelle Identität einer kollektiven westlichen Seele kreisende Nachforschungen – zu reflektieren bleibt einiges, vieles, vielfältiges.
Moshtari Hilals „Hässlichkeit“ ist ein ehrlicher, mutiger, fragiler und ambivalenter Blick auf den Status quo unserer Gesellschaft; ein Textkorpus, der die ambivalenten Gedankenwelten, die von Rissen und Krisen geprägten Identitäten – und die Verletzlichkeit unserer hart erkämpften Räume in puncto Diversität, Toleranz und Gleichheit skizziert.
Als Gedicht: gefühlsintensiv, als Essay: scharfsinnig; als Buch: klug, unapologetisch und einzigartig.
Aus diesen Gründen spreche ich meinerseits eine klare Leseempfehlung aus.
Hier geht’s zur Leseprobe.
Bibliografie:
Titel: Hässlichkeit
Autor*in: Moshtari Hilal
224 Seiten | 23,00 € (D)
Erscheinungsdatum: 04.09.2023
Verlag: Carl Hanser
ISBN: 978-3-446-27682-6
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