Eat Pray Love Die. Francesca Ekwuyasi:“Butter Honig Schwein Brot“

Francesca Ekwuyasi erzählt in ihrem Debütroman „Butter Honig Schwein Brot“ die bewegende, magische Geschichte dreier nigerianischer Frauen: einer Mutter und ihrer zwei Zwillingstöchter. Der emotional intensive Roman beschäftigt sich unter anderem mit Familienbeziehungen, Traumata und Vergebung – sowie der Zubereitung und dem Genuss von köstlichen Gerichten.

Doch steckt in diesem Buch noch wesentlich mehr an lesenswerten Themen und Facetten – eine authentische und faszinierende Vielfalt an Schrecken, Liebe, Tod und Zauberei.


Francesca Ekwuyasi wurde in Lagos, Nigeria geboren. Sie ist Filmemacherin, Autorin und multidisziplinäre Künstlerin. „Butter Honig Schwein Brot“, übersetzt von Anna von Rath, ist ihr erster Roman. Das Buch wurde 2022 mit dem Preis für queere Nachwuchsautor*innen des Dayne Ogilvie Preises ausgezeichnet.


Der Tod ist nur eine Tür.

Wir sind Ogbanje.
(7)


Die Handlung des multiperspektivischen Romans wird aus drei Linien gewoben: Lesende entdecken die Erzählwelt durch die Stimmen von Kambirinachi sowie ihrer Zwillingstöchter Taiye und Kehinde. Nach und nach enthüllt Ekwuyasi in ihrem Buch schreckliche Geheimnisse aus diversen Generationen der Familie, tiefgründige psychologische Komplexitäten – und webt immer wieder gruselige Episoden in ihre Geschichte, die reichlich mit übernatürlichen Elementen bestückt ist.

Im Einstieg der Geschichte wird Kambirinachis Beziehung mit den Seelen ihrer Vorfahren beschrieben, die als Brüderschwestern bezeichnet werden. Die Mutter selbst glaubt, ein Ogbanje zu sein: ein Geist, der seine Familie ins Unglück stürzt. Wie ihre Töchter mit dieser Veranlagung und deren sichtbarem Einfluss auf das Gemüt und Verhalten der Mutter umgehen, variiert situativ.

Doch zunächst geht es im Buch um die Leidenschaft für das Essen und das Kochen. Nicht nur ist es das, was Taiye am besten kann und am liebsten tut – auf den entsprechend benannten vier kulinarischen Eckpfeilern ist auch das Buch strukturell aufgebaut.


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Kambirinachis Geschichte dient lediglich als Hintergrund, obwohl ihre Kindheit und die selbst empfundene Schuld am Tod des Vaters, ihre inneren Dialoge (argumentativ Monologe) mit ihren Brüderschwestern einen genussvoll unheimlichen Ton im Grundgerüst der Geschichte angeben – und den nigerianischen Geisterglauben sowie Teile der Kultur der Yoruba einbringen.

Kambirinachi glaubt nämlich, ihren Vater an einem bestimmten Punkt ihres Lebens von einer tödlichen Krankheit geheilt zu haben – nur um später seinen Tod zu verursachen.


Sie lief zum Bett, drückte ihre Hände […]
von den Fingern bis zum Gelenk tief in seine Brust

und klaubte dann mit all ihrer Kraft
die Krankheit aus seinen Lungen.(60)


Und doch kann die Tragik um ihre eigene Kindheit und Jugend dasjenige nicht aufwiegen, was sie glaubt, ihren Töchtern mit ihrem Schicksal als Ogbanje angetan zu haben.

An dieser Stelle steigen wir in die Hauptthematik des Romans ein: die Kluft zwischen den Zwillingsschwestern, die individuellen Selbstbilder und Lebenswege der Geschwister und die daraus entstehenden Figurendynamiken. Denn auch wenn Taiye und Kehinde gemeinsam aufgewachsen sind, hat eine furchtbare Tragödie sie in jungem Alter auseinandergetrieben.

Nun kehren beide Schwestern zurück nach Hause – und die alten Narben beginnen zu brennen.


Der Abstand zwischen uns
ist so massiv, so schwer.

Das ist nicht normal für Schwestern,
und es war nicht immer so.
(81)



Unter welchen Bedingungen könnte für Taiye und Kehinde eine gemeinsame Zukunft als Familie realistisch sein? Ist eine Heilung der tiefen Wunden möglich, die der schwere körperliche Missbrauch seitens eines Familienmitglieds verursacht hat?

Die Option der Versöhnung wird inhaltlich zwar in Aussicht gestellt, doch ist das Kernstück des Romans die Aneinanderreihung und Verknotung der Lebenswege als Prozess: Handlungslinien, die sich nicht kreuzen, doch immer wieder miteinander verbunden sind. So fern die Schwestern sich voneinander befinden, so unüberwindbar ihre erlebten Verletzungen auch sein mögen – denn beide verarbeiten ihre persönlichen Schwächen, Fehler und argumentative Mängel auf äußerst unterschiedliche Art und Weise.

Francesca Ekwuyasis Roman erinnert in Teilen an Bücher wie „Die verschwindende Hälfte„, „Sula“ oder „Heimkehren“ – da es sich um eine weitere gespaltene Familienerzählung handelt, die Elemente des Heimkehrens in sich trägt. Allerdings sind die Tragiken und Spannungsfelder in meinen Augen eher intrinsischer als extrinsischer Art.


Ja, wir reisen zwar zwischen Lagos, England und Kanada und erleben queere Realitäten und Lebensmuster Schwarzer Frauen – doch wird in „Butter Honig Schwein Brot“ nicht dezidiert auf gesellschaftliche Konflikte oder sozial bedingte Kollisionen eingegangen. Kaum spielt es eine Rolle oder stellt ein Problem dar, dass eine der Protagonistinnen queer ist oder dass beide Schwarz sind. Problemkomplexe wie die schwierige Beziehung queerer Schwarzer Individuen zur Kirche und zur Familie werden mittels sekundärer Handlungslinien verarbeitet.

Eher lesen wir hier über persönliche, interne Reisen; die Überwindung familiär bedingter Traumata, die Versöhnung mit dem eigenen Körper – um über die mit Affären, Konflikten, Krisen und Kämpfen ausgestatteten Lebenswege der Schwestern schlussendlich zur Aufbereitung des zentralen Traumas im Familienkreis zu gelangen.

Das soll nicht bedeuten, dass anhand von Milieubeschreibungen und kulinarischen Besonderheiten – oder der klar mit Stolz dargestellten Pracht an Haar-Ästhetik – nicht eine sehr deutliche Identität aufgebaut wird, die authentisch gestaltet und bereichernd zu lesen wäre. This book has swag for days on end!


Kritisch sollte dennoch auch das restliche Personal des Romans abseits der Kernfamilie betrachtet werden. Eine queere Person, die aufgrund der toxischen Beziehung mit den Eltern fatale Entscheidungen trifft; ein Lebenspartner mit marokkanischen Wurzeln, eine polyamor lebende Liebhaberin, eine kurz vor der Ehe mit einem Mann begonnene leidenschaftliche lesbische Affäre – all diese Nebenfiguren, deren Leben für einen Moment oder eine Dekade die der Schwestern berühren, geben der Erzählung zum Punkt ihres Erscheinens zwar eine (teils marginale, teils gelungene) intensivere Tonalität, schwinden allerdings nach Abschluss der Lektüre direkt aus dem Gedächtnis.

Wie im Titel des Romans Wörter ohne sichtbare Bindung aneinandergereiht worden sind, fehlt zwischen den einzelnen Figuren die Verknüpfung; auch sie sind eher Stichpunkte ohne Verwebung ins Muster, freischwebende Elemente ohne kompositorische Interpunktion.

Die Stärken von „Butter Honig Schwein Brot“ liegen ganz klar in der facettenreichen Darstellung der Protagonistinnen, deren figurenpsychologische Dimensionen, tiefe Schmerzen und mit schweren Schritten erkämpfte individuelle Entwicklung fühlbar, sichtbar und erkennbar geschrieben worden sind. Kambirinachi, Taiye und Kehinde sind authentische Persönlichkeiten mit elegant skizzierten Konturen.

Auch wenn beispielsweise Kambirinachi vergleichsweise weniger Raum (im Sinne der ihr gewidmeten Seitenzahl) im Roman einnimmt, ist ihre Bindung zu ihren Töchtern klar und deutlich, ihre Rolle in der und für die Erzählung essenziell.

Elemente, Personen und Ereignisse hingegen, die abseits der Familientrias vorkommen, bleiben des Öfteren etwas eindimensional.


Nichtsdestotrotz hat Francesca Ekwuyasi mit „Butter Honig Schwein Brot“ eine inhaltlich fesselnde, psychologisch komplexe, szenisch farbintensive literarische Geschmackssymphonie geschrieben, die sowohl die magische Kultur als auch das kulinarische Reichtum ihres Herkunftslandes auf eine faszinierende Art und Weise beschreibt und zudem einen literarischen Raum für queere Schwarze Geschichten bietet.

Romane, in deren Erzählwelten queere Individuen als normale Teile der uns umgebenden Gesellschaft behandelt und gezeigt werden, sind für jede Landesliteratur enorm wichtig. Nicht nur in der nigerianischen Literatur, sondern in afrikanischen und afrodiasporischen Kontexten sind solche Geschichten weiterhin eine Seltenheit und in meinen Augen heiß begehrte Mangelware. Mehr davon!


Sehr wichtig sind für begeisterte Lesende an dieser Stelle allerdings noch zweierlei Triggerwarnungen: Sowohl explizite Szenen schwersten körperlichen Missbrauchs als auch eine Szene des fatalen Missbrauchs einer größeren Menge an Drogen sind im Buch zu finden. Ich lese fast ausschließlich harten Tobak und musste den Roman mehrmals zur Seite legen, um die Lektüre nach einer kurzen Atempause fortzuführen – so spannend er auch durchgehend war.

Für zarte Gemüter und für die genannten Themen sensibilisierte Individuen ist „Butter Honig Schwein Brot“ also definitiv keine angemessene Wahl. Für Freunde des harten Tobaks und der afrikanischen beziehungsweise afrodiasporischen Literatur liegt hier allerdings eine starke Leseempfehlung vor.

Bibliografie

Titel: Butter Honig Schwein Brot
Autor*in: Francesca Ekwuyasi

384 Seiten | 27,00 € (D)

Erscheinungsdatum: 28.06.2024
Verlag: InterKontinental

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