Von Clowns und Serienmördern. Heinrich Böll, Heinz Strunk und die Tragikomik des Außenseiters

Romanprotagonisten, als deren herrschendes Charaktermerkmal die moralische Ambivalenz hervorzuheben ist, lösen öfters polarisierende Reaktionen im Leser aus.

Täter können Helden sein, aus Helden können Täter werden, und Hauptsächliches kann meistens als Menschliches rationalisiert und erklärt werden. Weniger wichtig als das tatsächliche moralische Spektrum ist am Ende, dass die Figur interessant für den Leser ist – Außenseiter und Randfiguren können trotz ihrer polarisierenden Persönlichkeiten Sympathieträger werden.

 

Einem von beiden Protagonisten wird in diesem Vergleich ein erheblich größerer Erfolg zukommen – und wem ich diesen zurechne, könnte gegebenenfalls überraschen.

 

Polarisierende  Reaktionen lösten zur Zeit ihrer Romanveröffentlichungen die Hauptdarsteller und ihre Geschichten in den Romanen Ansichten eines Clowns (1963) von Heinrich Böll und Der goldene Handschuh (2016) von Heinz Strunk aus. Knapp fünfzig Jahre stehen zwischen den Werken, jedoch sind genügend Parallelen zu finden.

 

12-05 Böll

Hans Schnier, Clown und Komiker, Kind wirtschaftlich erfolgreicher Eltern, hat sich von seiner nationalsozialistischen Familie und deren kapitalistischen und religiös geprägten Wertvorstellungen abgesetzt und führt ein selbstständiges Leben als Bühnenkünstler. Als jedoch die Beziehung mit seiner streng katholischen Verlobten an grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bezüglich ihrer Vorstellungen zur gemeinsamen Familienplanung vollständig scheitert, geht es mit der Karriere ebenso bergab. Scheitern in jedem möglichen Sinne ist somit evident und unumgänglich.

 

Fritz Honka, Alkoholiker und Psychopat, verbringt seine freien Stunden – sprich alle Stunden – in einer Kneipe, die wahrhaftig verwahrlost ist, und sucht dort nach flüchtigen Frauenkontakten, die meistens mit brutalen Gewalttaten enden. Seine Prioritäten ändern sich kurzzeitig, wenn er unerwartet eine Anstellung erhält und ein Teil der „normalen“ Gesellschaft wird. Die tierischen Impulse sind dennoch zu tief verwurzelt und Honka scheitert an seinem Versuch, ein produktiver Teil der Gesellschaft zu werden. Er kehrt immer wieder zurück „Zum goldenen Handschuh“:

Manche sitzen zwanzig, dreißig Stunden hier. Einmal hing einer zwei Tage und zwei Nächte bewegungslos auf seinem Hocker, der war schon tot, wegen des Schichtwechsels hat aber keiner was gemerkt. Gesunder Schlaf dachten die Leute. In der dritten Nacht war jemand gestürzt und hatte im Fallen den Toten mitgerissen, sonst wäre es wohl erst aufgefallen, wenn ihn die Ratten angenagt hätten.“

 

Als Verlorener ist Honka gezeichnet und trotz seiner Mühen wird er auch ein solcher bleiben. Sind seine Taten weniger verheerend, wenn seine Opfer eben solche Verlorenen sind?

Der goldene Handschuh basiert auf wahren Begebenheiten, und keiner der vier Frauen, die tatsächlich nach dem Brand der Wohnung in Hamburg gefunden worden, wurden jemals als vermisst gemeldet. Sind diese Menschen sogar einen besseren Weg gegangen, da ihr Elend ein schreckliches Ende hatte, und nicht länger als endloser Schrecken fortgeführt werden musste? Auch eine polarisierende Frage.

 

 

Vom politischen Kontext der Zeit abgesehen (der für Ansichten eines Clowns als Einzelbeispiel einen wichtigen Bezugsrahmen darstellt, jedoch für meinen Vergleich keine tragende Rolle spielt) handelt es sich in beiden Fällen um Männer, die von ihrer Gesellschaft und ihren Vertrauenspersonen enttäuscht und (einer körperlich, einer ideologisch) misshandelt worden sind und ihre eigene Existenz begründen möchten. Jedoch wird Hans Schnier hier graduell als Parasit entblößt, der sich weigert, die ideologischen Ansichten seiner Nächsten anzunehmen, ihre Hilfe dennoch bei seiner eigenen Existenzbehauptung als selbstverständlich sieht. Fritz Honka hingegen ist ein Alleinestehender, dessen einziges Familienmitglied, der Bruder, zu Besuch eingeladen und als Gast bewirtet. Alles, was Schnier seinem – ironischerweise zum katholischen Priester gewordenen – Bruder abgewinnen möchte, ist finanzielle Unterstützung.

 

Fritz Honka ist eine verlassene Figur, die sich selbst behaupten muss und diese Tatsache hinnimmt. Er kann jedoch seine Gewaltimpulse und seine Sucht nicht kontrollieren und wird zum Serienmörder. Hans Schnier behauptet sich einerseits als selbstständiges Individuum, nimmt jedoch in einer Lage der finanziellen Not seine Prinzipien wieder zurück und durchstreicht damit seine Vorsätze.

 

12-05 strunkKlar ist hier die unterschiedliche Art und Weise des Schreibens: Der goldene Handschuh möchte betonen, dass in dem verlogensten Schurken menschliche Wünsche und Hoffnungen verborgen sind, und dass das Elend keine Klasse kennt und jeden befallen kann. Die Parallele Schilderung der Reederfamilie von Dohren, deren zwei Generationen es ebenso in den „Handschuh“ verschlägt, ist eine schöne Parallele zur Betonung der grotesken Realität, dass niemand einem hässlichen Inneren oder Äußeren entgehen kann, egal als wer er geboren ist.

In diesem Vergleich ist Honka auch nicht der „bessere“, da alle männlichen Hauptfiguren – sowohl Honka als auch alle drei Generationen der von Dohrens – ihre Sexualpartner erniedrigen wollen und aus rein egoistischen Selbstbefriedigungsprinzipien her agieren. Andererseits werden Honkas Morde nicht nur als Impulsbefriedigung, sondern auch als Akt der Gnade dargestellt.

Vergleichsweise begeht Fritz Honka sich an gleichwertigem Elend. Er kommt mit dem gegebenen Zustand zurecht, und versucht sich im Rahmen des Möglichen zu verbessern.

 

Hans Schnier hingegen möchte ausschließlich auf seine subjektiven Prinzipien bestehen – und stellt sich gerade in dieser Hinsicht im Laufe des Romans als Betrüger und Parasit heraus –, anderen die Verantwortung an seiner Unfähigkeit in die Schuhe zu schieben und seinen sentimental verschleierten egozentrischen Wünsche von anderen ermöglichen zu lassen. Währenddessen nimmt er die große Schuld der anderen stärker wahr als seine eigenen Fehlschritte:

„Große Sachen zu bereuen ist ja kinderleicht: Politische Irrtümer, Ehebruch, Mord, Antisemitismus – aber wer verzeiht einem, wer versteht die Details?“

 

Offensichtlich ist keiner von diesen beiden Protagonisten als konventionell taugliches Mitglied einer funktionierenden Gesellschaft; als sympathischer Ehemann, Kumpel, Kollege oder Geliebter einzuschätzen. Beide leiden unter krassen Wahnvorstellungen.

Als Mensch jedoch ist Fritz Honka an dieser Stelle trotz seiner grundlegenden Unmenschlichkeit der Sympathische von beiden Figuren – da seine Taten und deren Hintergründe wenigstens transparent, plausibel und begründbar sind.

 

Und so überholt der Serienmörder den Clown auf der Skala der Sympathieträger. Ein ebenso tragikomischer Fazit wie die beiden hervorragenden, polarisierenden Romane selbst.

 

(Fotos: 1 2 3)

 



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