Deutsche Autorin Monika Maron thematisiert in ihren zahlreichen Romanen, Artikeln und Essays brennende Themen, die das soziopolitische Klima in Deutschland beherrschen.
Welche Lehren zur aktuellen Situation können aus dem autobiografisch gefärbten Debüt „Flugasche“ gezogen werden – und warum durfte dieser in der DDR gar nicht erscheinen?

„Flugasche“ thematisiert die Umstände und Auswirkungen der lebensgefährlichen Luft- und Umweltverschmutzung durch ein Braunkohlekraftwerk in der Industriestadt B. im Zentrum der chemischen Industrie in Sachsen-Anhalt.
Die Ost-Berliner Journalistin Josefa Nadler kämpft für die Lebensqualität der die Stadt bewohnenden Arbeiterfamilien und setzt ihre eigene Karriere aufs Spiel, um die zuständigen Behörden über den Ernst der Lage in B. in Kenntnis zu setzen und zu überzeugen.
Doch niemand interessiert sich für dieses von Josefa als Wahrheit bezeichnete Konstrukt – denn ihre Fakten unterminieren ihren Arbeitgeber, ihre Partei und ihren Staat, denen sie widerspruchslos zu dienen verpflichtet ist.
Es folgt eine ungeschönte Darstellung dessen, wie in der DDR belegte Fakten skrupellos als Fake News abgetan wurden.
Nicht nur in ihrem Beruf fühlt Josefa sich als eingequetschtes Zahnrad zwischen größeren Zahnrädern – gezwungen zu bestimmten Bewegungen, Äußerungen und Positionierungen, ohne jegliche Chance zur individualistischen Divergenz.
Auch ihr Privatleben hat einen tristen Ablauf, da die Unterdrückung seitens Zensur und Partei Josefa Gramm für Gramm von innen zerstört. Weder als Mutter noch als Geliebte fühlt Josefa sich als gelungen, glücklich oder frei, da sie weder die Macht noch die Autorität noch die Position besitzt, die Umstände in B. zu verbessern.
Und doch weiß Josefa schon aufgrund ihrer Familiengeschichte, dass sie als Journalistin einen höheren, feineren Beruf ausüben darf, weil die Gesellschaft, deren Privilegien sie auskosten darf, vollends auf den Schultern der Arbeiter steht.
Dankbar sollte sie also sein, doch bleibt dafür leider keinerlei Energie mehr übrig.
Josefas depressive Tendenzen werden weder von ihren Kollegen noch ihrem Freund mit Empathie behandelt, sondern wird sie noch für ihre privaten Lebensentscheidungen kritisiert – was zur umgekehrten, komplexen Selbstreflexion führt.
„[…] du tust so, als wäre ich der feigste und korrumpierteste Mensch weit und breit, nur weil ich mein Leben nicht am Fließband zerstanzen lassen will. Meinst du, Leute, die ihre Situation nicht mehr empfinden und auch gar nicht darüber nachdenken, sind vielleicht ehrlicher?„(86)
Der Roman ist autobiografisch verwurzelt: Maron war in den 1970er Jahren als Journalistin in der DDR-Zeitung Wochenpost tätig und veröffentlichte 1974 eine Reportage über Bitterfeld, die auch als schmutzigste Stadt Europas bekannt war. Später beschrieb die Autorin im Bericht „Bitterfelder Bogen“ den strukturellen Umgang mit der enormen Umweltverschmutzung in der ehemaligen DDR.
Ebenso kann Marons Beziehung zur SED als mit Spannungen gefüllt bezeichnet werden, da die Autorin sich oft und frei regimekritisch gegenüber der DDR äußerte.
Argumentativ zu Recht – aus zeitgenössischer Sicht im Gegenteil.
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„Flugasche“ wurde 1981 im westdeutschen Fischer Verlag veröffentlicht. In ihrer Heimat, der damaligen DDR, durfte die Autorin ab 1988 gar nicht mehr publizieren und verließ Ostdeutschland.
Marons erstem Roman wohnt ein Bukett an düsteren Gefühlen inne, welches allerdings nichts mit naturalistischen Tendenzen oder stilistischem Hyperrealismus zu tun hat.
Die Umstände dieser Tristesse in Beton sind realistisch, historisch, wahrheitsgemäß.
Der Wut gegen eine Macht, die nicht zu bekämpfen ist, den Verbot einer eigenen Meinung und die Zensur freien Gedankengutes sind nur einige der Themen, die Josefa Nadler tagtäglich beschäftigen. Nicht nur als Journalistin fühlt sie sich machtlos: als Frau und alleinerziehende Mutter ist sie den Herausforderungen einer Existenz in der DDR emotional nicht gewachsen.
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Auch mit depressiven Tendenzen belastet ist Josefa – zumindest zum Beginn der Handlung – durch einen beeindruckenden Kampfgeist geprägt.
Mehrmals reist sie nach B., atmet Gift und Schmutz, versucht die Arbeiter zu Taten zu überreden, entscheidet sich gegen die Unterwerfung vor der Zensur und sucht das Gespräch mit höheren Instanzen, um über die Situation in B. aufzuklären.
Kein Wunder, dass weder emotionale noch körperliche Ausdauer nicht ausreichen, wenn ihr Sohn die Mutter abends bittet, ihm eine Geschichte vorzulesen. Nur in ihrer Fantasie, teils animalischen, teils schlichtweg aggressiven Träumen lässt Josefa ihrer Rage freien Lauf. Denn auch wenn sie sich immer öfter und länger ins Bett verkriecht, ist sie wütend.
Zu Recht.
„Sie sehn auf ihre Leistung, dann erst auf die Beine. Das könnt ihr nicht gewollt hab’n, Frauen, dass zu dem einen Zwang der andre kommt. Wenn ihr so weiterschreit nach Gleichberechtigung, dann nehmen sie uns eines Tages noch in die Regierung, dann wären wir gefangen und müssten mitspieln nach der Männer regeln. Ich frag euch, Frauen, wollt ihr das?.“(167)
„Flugasche“ ist harter Ost-Tobak, ein tristes Portrait über den Kampf einer Frau mit personifizierten soziopolitischen Windmühlen. Obwohl die fantasiereichen Traumsequenzen Josefas ihren Eskapismus gerade noch sättigen, sodass die Protagonistin nicht ernsthaft über einen Suizid nachdenkt, wirft auch das zum Teil positive Ende des Romans kein ausreichendes Licht auf die grautönig verbleibende Gesamtsituation.
Da Marons Roman, der in der DDR nicht erscheinen durfte, zumindest weiterhin historisch relevante Themen wie Zensur in totalitaristischen Regimes, die verheerenden Folgen von Umweltverschmutzung und staatliche Steuerung von Menschen und Medien bespricht, macht es zu einem bleibenden Wertgegenstand im deutschsprachigen Literaturkanon.
Im Kontext des 21. Jahrhunderts sollte „Flugasche“ zeitgleich über die aus einer unterdrückten Diskurskultur entstehenden Aggressionen unterrichten. Mit derselben Dringlichkeit warnt diese Lektüre vor den Gefahren einer Medienzensur wie vor den fatalen Konsequenzen eines ignoranten Umgangs mit Umwelt- und Klimaschutz.
Hast Du „Flugasche“ bereits gelesen? Welche weiteren DDR-Autor:innen sind besonders empfehlenswert?
Ich freue mich auf Deine Meinung zum Thema.
Mein Leseexemplar gehört zur im Hoffmann und Campe Verlag erschienenen Neuauflage von Monika Marons Romanen. Solltest Du an einem Dialog bezüglich der Hintergründe des Verlagswechsels der Autorin interessiert sein, gehe ich gerne in den Kommentaren dieses Beitrags auf konstruktive Fragen ein.
Ohne das Spätwerk der Autorin erster Hand zu kennen und ohne in Deutschland aufgewachsen zu sein, empfinde ich es jedoch als äußerst schwierig, eine definitive Meinung zum Sachverhalt oder zu den Positionen der Autorin zu formulieren. Überdies sollen in diesem Beitrag der Roman „Flugasche“ und die daran gebundene Thematik im Fokus bleiben.
Hier geht’s zur Leseprobe.* (Link * zu Thalia, da auf der Verlagsseite keine Leseprobe verfügbar war.)
Bibliografie:
Titel: Flugasche
Autor:in: Monika Maron
Seitenzahl: 253
Erscheinungsdatum: 01.09.2021
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 9783455012859
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