Literarische Abenteuer. Rebecca Makkai: ‚Die Optimisten‘

Rebecca Makkais dritter Roman Die Optimisten (The Great Believers, 2018) ist in erster Linie eine höchst gefühlsintensive Erzählung. So sehr, dass sie dem Leser mit einer vollen Wucht entgegenkommt und einiges an Schmerzen bereitet. Und doch ist die Geschichte mehr als lesenswert, weil wichtige Bestandteile der Kultur- und Sozialgeschichte zum Jahrhundertwechsel preisgegeben werden.

Die Handlung dreht sich um eine Pandemie mit tödlichen, grausamen, unaushaltbaren Konsequenzen – aber wir schreiben nicht das Jahr 2020.


Der Roman besteht aus zwei ineinander gewobenen Geschichten, von denen jedoch die des in einer Galerie arbeitenden Yale fester an den Herzfesseln reißt. Die Geschichte von Yale spielt in 1985, zur Hochzeit der Aidsepidemie, und begleitet die Resonanz der ersten Aidstests.

Yale und sein Partner Charlie führen eine konfliktreiche Beziehung inmitten von Arztbesuchen, Krankenhausaufenthalten, Beerdigungen, Partys, Protestmärschen, Angst, Trauer und Unsicherheit.

Hauptsächlich wirft Makkai ein Licht darauf, wie Yale sich innerhalb der Epidemie fortbewegt, beschreibt durch seinen Blick jedoch zahlreiche andere am Virus erkrankte junge Männer und die Konsequenzen der Krankheit in zahlreichen Menschenleben.

Yale ist beruflich auf einer aufregenden Mission: er arbeitet darauf hin, eine sensationelle Kunstkollektion aus den 1920ern mit Werken von Modigliani und Soutine für eine Dauerausstellung zu sichern. Aufgrund seiner Gespräche mit der alternden Nora, die als Modell in den 20er Jahren ein tumultuöses Leben führte, ergeben sich neue Parallelen mit Kriegszeiten und den Verlust der liebsten Person begleitenden Qualen, die nie wirklich vergessen werden können.

Trotz allem ist es der immerwährende Kampf und die vorausblickende, konstruktive Einstellung, der alle Protagonisten charakterisiert und den anmutigen Kern der schmerzhaften Geschichte ausmacht:


»Das ist der Unterschied zwischen Optimismus und Naivität.
Keiner hier im Raum ist naiv.
Naive Menschen haben noch keine echte Prüfung hinter sich,
deshalb meinen sie, ihnen könnte nichts passieren.
Optimisten wie wir haben schon etwas durchgemacht

und stehen trotzdem jeden Tag auf,
weil wir glauben,
wir könnten verhindern, dass es noch einmal passiert.
Oder wir tricksen uns einfach aus,

um das zu glauben.«



Die Nuancen der Figurenbeschreibungen und der historisch-allegorischen Ariadnefäden sind viel und fein – Themen wie Monogamie, Liebe, Treue und Freiheit werden anhand von unterschiedlichsten Beziehungsmodellen untersucht. Doch umso mehr die Handlung sich dem Ende nähert, desto grausamer gestalten sich die individuellen Schicksale.


Zeitgleich verläuft die Geschichte der Schwester von Nico, der in den engsten Freundeskreis gehörte. Fiona hat sich in 1985 vorrangig um die Männer gekümmert und (ihres Erachtens) dadurch die Beziehung zu ihrer Tochter ruiniert. Im Jahre 2015 befindet sie sich in Paris auf der Suche nach der spurlos verschwundenen Claire – die zudem noch von einer Sekte aufgenommen wurde und um deren Leben Fiona nun ebenso fürchten muss.

Kompositorisch hervorragend ist das Gewebe des Romans, die zwei Haupthandlungen und ihre Gabelungen werden von Anfang bis Ende sorgfältig zusammengefügt. Jede Figur, jedes Ereignis und jeder Konflikt hat einen Sinn und einen Zweck im großen Ganzen.


Beide Erzählungen enden mit und bei einer Ausstellung – so werden die Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit von Fiona und Yale schließlich in der übergreifenden Erinnerungsthematik vereint.

Der Fotograf Richard Campo hat die Aids-Epidemie überlebt und stellt im Centre Pompidou retrospektive Szenen aus den kurzen Leben der verstorbenen Männer dar, die die Trauer und Schmerzen erneut erwecken. Zeitgleich rufen die Fotos von Richard jedoch das Schöne und Zeitlose an den Freundschaften und Liebesbeziehungen erneut ins Gedächtnis. So wird der Kreis der leidvollen Existenzen zu einem bittersüßen Teil der Menschheitsgeschichte – in Form von zeitlosen Kunstwerken.


„Die Optimisten“ ist ein herzzerreißender, wunderschöner, lehrreicher, besonderer Liebesroman und meinerseits sehr dringend zu empfehlen.

Habt ihr den Roman bereits gelesen? Auf eure Resonanz freue ich mich in den Kommentaren.


Bibliografie:

Titel: Die Optimisten
Autor: Rebecca Makkai
Seitenzahl: 624
Erscheinungsdatum: 30.03.2020
Verlag: Eisele
ISBN: 978-3-96161-077-8

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