Drama Panorama: drei Eindrücke von den Bühnen des Deutschen Theaters

Im heutigen Beitrag teile ich ein übersichtliches Impromptu mit drei Eindrücken zu vor Kurzem gesehenen Stücken im Deutschen Theater Berlin – und sinniere ein wenig über diverse Möglichkeiten, Freiheiten sowie argumentativer Verantwortung von Bühnenadaptionen.

In diesem Rahmen verrate ich Dir auch einiges über meine Person – und spreche zahlreiche Themen an, die in diesem Blog bis dato noch gar keine Aufmerksamkeit erhalten haben.


Es wird keinen Lesenden, der sich schonmal in diesem Literaturblog umgesehen hat, überraschen, dass ich mich als leidenschaftliche Leserin und Buchbesessene bezeichne. Mein Buchgeschmack umfasst frische Debüts und vergessene Autor*innen, Klassiker und Neuerscheinungen, Belletristik und Sachbücher.

Obwohl die von mir besprochene Literatur auf den zweiten Blick nun doch recht speziell ist – meistens harter Tobak, oft abseits vom zeitgenössischen literarischen Mainstream; psychologisch, soziologisch oder kulturhistorisch ambitioniert et cetera – kann mein Geschmack in puncto Bücher und Literatur auch als sehr breit gefächert bezeichnet werden.

Zu meinen bevorzugten Lektüren gehören auch dramatische Texte aus der Antike und bekannte Bühnenstücke von europäischen Autor*innen. Was Dramen betrifft, ist mein Weitblick und Know-How zwar bei weitem nicht so avanciert wie bei Romanen, doch schätze ich mich als regelmäßige und leidenschaftliche Theatergängerin ein, die bereits ein gewisses Spektrum an Bühnenstücken konsumiert hat – sofern finanzielle und zeitliche Möglichkeiten gegeben sind. Dass diese bei jeder Person organisch variieren, ist für mich ebenso selbstverständlich.


Sehr habe ich mich auf vermehrte Theaterbesuche im laufenden Jahr gefreut – und hochgradig variable Eindrücke und Erfahrungen sammeln dürfen. Da die Besuche sich auf einen geringen Zeitraum konzentrierten und binnen kürzester Zeit eine hohe Variabilität an Gedanken entstanden ist, beschloss ich mich für ein kurzes Panorama.

Die folgenden Gedanken zu den Stücken beanspruchen zwar einen sachlichen und analytischen Ton, doch sehe ich mich nach drei Stücken im Deutschen Theater Berlin sicherlich nicht imstande für eine Bewertung mit ausreichend fachlichem Boden. Insofern mögen Dramenkritiker*innen mir eine gewisse Laienhaftigkeit in diesem Bereich nachsehen und die Eindrücke als essayistische Momentaufnahmen interpretieren.


Biografie: Ein Spiel


Der Schweizer Journalist, Architekt und Romancier Max Frisch (1911–1991) schrieb Erzählungen, Tagebücher, Theaterstücke, Hörspiele und Essays. Biografie: Ein Spiel ist ein Theaterstück, welches 1968 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wurde.

Das Stück umfasst typisch Frisch’sche Themen wie die Auseinandersetzung mit der facettenreichen und widersprüchlichen Idee von einer Identität, die unumgänglich künstliche Konstruktion der eigenen Biografie – und bestückt das Ganze mit einer Prise scharfsinnigen Humor.


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„Biografie: Ein Spiel“ handelt vom todkranken Verhaltensforscher Hannes Kürmann, der die Möglichkeit erhält, sein Leben erneut zu beginnen. Ein Kanzleiregistrator führt Kürmann durch vergangene Schlüsselerlebnisse und erlaubt ihm, sich – mit dem Wissen um die Zukunft – anders zu verhalten. Im Vordergrund steht Kürmanns Wunsch nach einer „Biografie ohne Antoinette“, da die Ehe mit ihm nach sieben Jahren zerrüttet ist.

So spielt Kürmann – vorrangig, doch nicht ausschließlich – jenen Abend durch, an dem er zum Professor ernannt wurde und bei der entsprechenden Feier Antoinette Stein kennenlernte. Doch wie er die Begegnung auch zu gestalten versucht, mündet sie in einer gemeinsamen Nacht.

Es dreht und dreht sich die Biografie; Kürmann scheint für immer in alten Mustern gefangen. Die Hauptfrage des Stückes: Ist es überhaupt möglich, das eigene Leben grundlegend zu verändern?
Foto: Arno Declair

Da es sich hier bereits um ein Bühnenstück handelt, ist die Anpassung des vorliegenden Materials nur im geringen Sinne notwendig – wenn überhaupt. So gelingt die Umsetzung auf der Bühne mit minimalen Materialien, einer kleinen Besetzung von drei Akteur*innen, die jeweils mehrere Rollen übernehmen, und einer ironisch angehauchten Transparenz zum Publikum – beispielsweise finden sämtliche Kostümwechsel direkt neben dem als Spieluhr stilisierten Hauptbereich der Bühne statt, die Schauspielenden helfen einander sogar im wahrsten Sinne des Wortes dabei, in eine neue Rolle und zurück zu schlüpfen.

Sowohl die einzelnen Darstellungen, das Timing, die Situationskomik und die trockene Art des Spiels kommen kombinatorisch sehr gut auf der Bühne rüber, sodass das Stück ganz klar als äußerst gelungen eingestuft werden kann.

Die Adaption richtet sich inhaltlich zwar nach dem Originaltext, nimmt sich allerdings, was Bühnenbild und Umsetzung betrifft, Freiheiten, die die Theatralik des Stücks auf eine zeitgenössische interessante Art und Weise adaptieren.

Die auf Anhieb offensichtlich erkennbaren Zusammenhänge zwischen dem Bühnenbild und der Handlung werden im Laufe des Stücks durchgehend ergänzt und bereichert. Eine gelungene Umsetzung des Materials auch in dieser Hinsicht!
Foto: Arno Declair

Inhaltlich hallt hier nach der Aufführung definitiv noch einiges nach: Der Registrator wirft Kürmann vor, er verhalte sich nicht nach dem respektiven Moment in der Gegenwart, sondern einer Erinnerung und gerate entsprechend jedes Mal in die gleiche Geschichte.

Der einerseits unerwartete, andererseits vollständig plausible Ausgang des Stücks und die individuelle Wechselwirkung zwischen Kürmann und seiner Frau sind diejenigen Facetten der Geschichte, die Zuschauende – und Lesende – mit Sicherheit weiterhin beschäftigen werden. Ist die existenzialistische Grundfrage des Textes doch auch für jedermensch weiterhin brennend aktuell, zumal wir uns in Zeiten des Social Media theoretisch tausendmal neu erfinden können. Doch bewirken diese oberflächlichen Wandlungen etwas? Der Kostümwechsel mit dem Ziel des Selbstwechsels lässt als Zuschauerin zunächst schmunzeln – und direkt selbstkritisch innehalten.

Wer die Möglichkeit hat, dieses Stück im Deutschen Theater Berlin zu schauen, dem lege ich „Biografie: Ein Spiel“ definitiv wärmstens ans Herz, mir haben sowohl Handlung als auch die schauspielerischen Leistungen, das Tempo, das kreative und doch minimalistische Bühnenbild und der sehr gut umgesetzte Humor sehr zugesagt.

Max Frisch: Biografie: Ein Spiel. 14. Aufl. Suhrkamp, 2023. 174 S., 16€ (D).


Caligula


Der französische Schriftsteller, Philosoph und Religionskritiker Albert Camus (1913–1960) erhielt 1957 für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Camus gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. „Caligula“ wurde 1945 in Paris uraufgeführt.

„Caligula“ ist einerseits ein Drama um die ausschweifende Sinnsuche eines jungen Mannes – der zufällig auch ein römischer Kaiser ist. Diese Ebene verleiht dem Stück seine moralische Bandbreite und Brutalität, da Caligula als Kaiser über Entscheidungsfreiheit über Leben und Freiheit seiner Untertanen verfügt.

Jede*r in diesem Staat tanzt nach Caligulas Pfeife – um dem Kaiser die bedingungslose Liebe zu beweisen, töten Väter, ohne zu zögern, ihre Söhne. Untertanen trinken mit glücklichen Mienen Gift – während der Herrscher auf seinem Plastikeinhorn schaukelt. Grauenvoll, exzentrisch und fesselnd!
Foto: Arno Declair

In diesem Stück steht in ästhetischer Hinsicht die lautstarke – in Teilen grelle, in Teilen groteske, doch stets eindrucksvolle – Gestaltung der Kostüme im Vordergrund, während das Bühnenbild eher minimalistisch gestaltet ist.

Die Adaption ist in meinen Augen eine absolute Modernisierung, obwohl durch Accessoires und farbliche Nuancen einige Hinweise auf die Vorlage getätigt werden. Die Szenen werden durch Musik ergänzt, die meines Erachtens stellenweise sehr gut funktioniert, stellenweise dennoch nur grell anmutet.

Dennoch überzeugt „Caligula“ durch starke Darstellungen, interessante Dialoge, diverses Casting – und den zahlreichen Subtilitäten, die sich hinter den teils enorm intensiven Bildern verstecken.

Je mehr ich über diese Kleinigkeiten reflektiere, desto mehr Gewinn hat das Stück im Nachhall.

Insofern würde ich diesen Theaterbesuch denjenigen Zuschauenden ans Herz legen, die für etwas avantgardistischere Adaptionen offen sind, lieber Kreativität als Traditionalismus auf der Bühne begrüßen – und vor einer Prise Groteske nicht zurückschrecken. Dann lohnt sich der Besuch auf jeden Fall.

Albert Camus: Sämtliche Dramen. 3. Aufl. Rowohlt, 2021. 592 S., 16€ (Tb, D).


Der Idiot nach Fjodor Dostojewskij


Der russische Militäringenieur, Übersetzer und Romancier Fjodor Dostojewskij (1821–1881) gehört zu den bekanntesten russischen Autor*innen, Dostojewskijs „Der Idiot“ und „Verbrechen und Strafe“/“Schuld und Sühne“ zählen zu den berühmtesten Klassiker unserer Zeit.

Die Bühnenadaption dieses Romans bewegt sich fernab der Spuren ihrer literarischen Vorlage. Wer das Buch nicht gelesen hat, wird die gesamte Aufführung meiner Meinung nach als ‚eindrucksvoll vorgetragene, doch größtenteils zusammenhanglose Monologe von argumentativ Wahnsinnige darstellenden Schauspielenden‘ rezipieren – und nicht viel über Dostojewskij gelernt haben.

Als Kennerin der Vorlage und Fan des Autors hinterließ mich die Erfahrung trotz kritischer Impulse im Zwiespalt: Diese Anreihung von Performances hält für diejenigen, die mit Dostojewskijs Hauptthemen und Texten ausführlich bekannt sind, einiges an fesselnden Gedanken bereit.

Die Monologe einzelner adaptieren eben nicht die Inhalte, sondern die Themen und Motive, die den Figuren des Romans zugrunde liegen.

Argumentativ wurde zwar viel gesagt, doch blieb ebenso viel ungesagt in dieser – an sich starken – Performance, die sich meines Erachtens wirklich nur mit den losesten Schnüren an den Namen „Der Idiot nach Dostojewskij“ binden darf.
Foto: Arno Declair

Ohne viel mehr verraten zu wollen – denn um dieses Stück verstehen zu können, muss mensch es in Gänze erfahren haben – kann ich die Adaption von „Der Idiot“ nur sehr abenteuerlustigen und kunstaffinen Individuen empfehlen. Meinerseits habe ich zwar bereichernde Anregungen zu Dostojewskijs interpretativen Ideen und der Psychologie seiner Figuren mitgenommen, doch hat die Aufführung so wenig mit seiner Vorlage zu tun, dass es lieber unter einem anderen Namen gespielt werden sollte.

Wer also das Romanmaterial wirklich kennt und sich für Figurenpsychologie interessiert, findet eine exzentrische und mutige Auseinandersetzung mit den moralphilosophischen und soziopsychologischen Grundpfeilern der Figuren.

Eventuell sollte vorab noch erwähnt werden, dass die Monologe zwar eine Zeitlosigkeit beanspruchen, sich dadurch jedoch vom literaturhistorischen und kultursozialen Kontext des Autors entfernen. Dies kann entweder im Sinne des Autors als positiv interpretiert werden (Zeitkritik imitiert Zeitkritik zwecks Zeitkritik) oder aber kritisch (der kulturhistorische Nachlass des Autors besteht in großen Teilen argumentativ in seiner Beschreibung zeitgenössischer Kontexte). Beide Argumente sind für mich nachvollziehbar.

Wem das Beschriebene zu aufregend erscheint – und wer gerne dem Original auch nur weitestgehend folgende lineare Bühnenadaptionen schaut, demjenigen ist der Besuch strengstens untersagt.

Fjodor Dostojewskij: Der Idiot. Fischer, 2021. 928 S., 18€ (Tb, D).


Hiermit gilt es noch einen letzten Grundgedanken anzusprechen, der mich am ehesten bei der Adaption von Romanmaterial, doch ultimativ bei jedem Bühnenstück begleitet: Inwiefern haben Bühnenadaptionen das Recht, den ihnen zu Grunde liegenden Stoff zu alternieren – und doch unter demselben Namen auf die Bühne zu bringen?

In puncto „Warten auf Godot“ hat Beckett beispielsweise streng festgelegt, dass das Stück ausschließlich von Männern gespielt werden darf. Dies obliegt meines Erachtens dem Verfasser des Textes. Dramaturg*innen steht es hingegen frei, unter einem anderen Namen andere Stücke zu spielen, wenn diese Stücke wirklich nichts mehr mit ihrer Vorlage zu tun haben.

Im Großen und Ganzen gelten Kreativität und künstlerische Ausarbeitungen eines Stoffes, eines Motivs, eines Typs et cetera selbstverständlich als Grauzonen, weswegen ich an dieser Stelle erneut betonen möchte, dass auch der heutige Beitrag lediglich meine subjektive Meinung darstellt.

Ich freue mich nun sehr auf Deine Gedanken zu den Stücken, den Autoren und den im Beitrag gestellten Fragen.

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