Drei Kurzrezensionen, Edition Weiblich: „Ein Geist in der Kehle“, „Die letzte Frau“ und „Offene Gewässer“

Eine Humoreske in hervorragendem Stil, eine Sammlung mit gefühlsstarker Symbolsprache – und ein Roman, der kräftig ins Herz schneidet. Im heutigen Beitrag aus der Reihe „Drei Kurzrezensionen“ teile ich meine kompakten Eindrücke zu drei vor Kurzem gelesenen weiblichen Texten.


Zusätzlich zu den regulären ausführlichen Buchbesprechungen erscheinen unter dem Serientitel „Drei Kurzrezensionen“ gebündelte Momentaufnahmen. Diese Texte entstehen meist als unmittelbare Eindrücke direkt während oder kurz nach der Lektüre und sollen lediglich eine Impression des jeweiligen Buchs darstellen. Weiteres können wir bei Interesse sehr gerne in den Kommentaren besprechen und ausführen.

Im heutigen Beitrag habe ich meine Gedanken zu drei lesenswerten Romanen gebündelt, die sich mit dem Themenkomplex ‚weiblich‘ beschäftigen.

Wohl gemerkt bezeichnet nur eine Autorin ihren Roman direkt und explizit als solches, doch haben alle zu besprechenden Bücher ihre Beschäftigung mit im weitesten Sinne weiblichen Welten gemeinsam. Auf welchen Wegen diese durchleuchtet und untersucht werden, wird im Folgenden ausgeführt.


Romina Pleschko: „Offene Gewässer“


© Kremayr & Scheriau

Romina Pleschko skizziert in „Offene Gewässer“ die fesselnde Lebensgeschichte einer schelmischen Außenseiterin – die sich gegen den mondänen Mikrokosmos ihrer Umgebung erhebt.

Eigentlich sollte Elfis ultimativem Lebensglück kaum etwas im Weg stehen: sie verbringt ihre Kindheit und Jugend im idyllischen Kleinod Liebstatt, umgeben von Gemütlichkeit, Ordnung und Tugendhaftigkeit.

Ihre Oma arbeitet im Supermarkt und ist Expertin in puncto Sonderangebote, Sparsamkeit und Tiefkühlwaren. Die Familienkasse reicht zwar weder für modische Outfits noch für ein eigenes Transportmittel – doch Elfi und ihre Großmutter sind ein Team.

Bis Elfi einen furchtbaren Verrat aufdeckt.

Pleschko hat hier eine köstlich böse Biografie beschrieben: ein junges Mädchen, welches brutale, vernichtende Urteile über ihre Mitmenschen und ihr Umfeld fällt, versucht ihre Apathie und Enttäuschung der restlichen Gesellschaft gegenüber keineswegs zu verbergen. Elfi versucht sich zwar immer wieder als funktionierendes Mitglied der Gesellschaft zu etablieren – merkt jedoch schnell, dass es sich hierbei nicht unbedingt um eine erstrebenswerte Position handelt.

Wunderbar amüsant und am Erlaubten grenzend schildert Pleschko Kindheit und Jugend ihrer Protagonistin, webt die Humoreske in hervorragender Sprache fort. Etwas uneben gestaltet sich zwar der zweite Teil der Geschichte, da ein Stück Leben fehlt – beabsichtigt, doch argumentativ doch etwas zu abrupt, springt Pleschko von desillusionierter Jugendlichen zur blasierten Dame über, als Elfi im reiferen Alter nach Liebstatt zurückkehrt und der Ort sich nun explizit gegen sie wendet, wo er dies gegenüber der Jugendlichen nur implizit getan hatte.

Warum der Sprung passiert und wo die soziopsychologischen Gegenüberstellungen lauern, ist in der Handlung selbstredend und wird nicht in Frage gestellt. Die Geschichte funktionierte in ihrer Ausgangsform allerdings so gut, dass ich die junge Elfi gerne noch etwas länger begleitet hätte.

Fazit: Nothomb-Fans und Moshfegh-Lesende, die bösen Humor, reichhaltig-charismatische Sprache und zynische Innenwelten mögen, kommen hier definitiv auf ihre Kosten.

Hier geht’s zur Leseprobe.

Romina Pleschko: Offene Gewässer. Kremayr & Scheriau, 2023. 208 S., 24 € (D).

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Rasha Habbal: „Die letzte Frau“
Übersetzt von Anke Bastrop & Filip Kázmierczak


© Verlagshaus Berlin

In ihren prägnanten Versen erzählt Rasha Habbal von alltäglichen Momenten, häuslichen Szenen und einfachen Gedanken – die jedoch alles andere als mondän oder berechenbar sind.

Die in zweisprachiger Edition veröffentlichten Gedichte der syrischen Lyrikerin handeln von Liebe, Schmerz und Opfergaben – von kurzen doch bedeutsamen Momenten, in denen liebende Frauen kleine Stücke von sich selbst hergeben.

Um diejenigen, denen ihr Herz gehört, für einen Augenblick leichter, glücklicher, mutiger, satter zu machen – weil sie selten an sich selbst denken.

Dieses kleine Bändchen fesselt mit seiner gefühlsstarken Symbolsprache, lässt Lesende Zeile für Zeile in sich horchen – und stellenweise plötzlich einen starken Schmerz, eine unumgehbare Sehnsucht verspüren, nachdem auf einmal dieser unerklärlich süßbittere Geschmack im Rachen aufkommt.

Ich wage zu behaupten: jede*r von uns hat schonmal geliebt und verloren.

Doch dass diese Gedichte auf dem Nährboden der syrischen Revolution und dem Bürgerkrieg wurzeln, verleiht ihnen einen weit stärkeren Nachhall, eine geradezu lähmende Macht.

Dabei spielen die Texte feinfühlig mit Sensibilitäten, lassen Lesende sich in weiblichen Konnotationen und Pronomen verlieren – und Sprechende sowie Empfangende in einem rhetorischen Spiel von Kausalitäten kreiseln.

Fazit: Dieses zärtliche Heftchen berührt, fasziniert und nimmt mit – in gefährliche Gefilde voller Trauer und Liebe. In Geschichten, die nicht nur zwischen den Zeilen, sondern sogar zwischen den Wörtern viele Geheimnisse verstecken.

Lesen! Entdecken! Staunen!

Rasha Habbal: Die letzte Frau. Verlagshaus Berlin, 2021. 48 S., 9,90 € (D).

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Doireann Ní Ghríofa: „Ein Geist in der Kehle
Übersetzt von Cornelius Reiber (Text) und Jens Friebe (Lyrik)


© btb Verlag / Penguin Random House

Doireann Ní Ghríofa verbindet in ihrem Prosadebüt Autofiktion und Essay, um das Leben einer irischen Adeligen aus dem 18. Jahrhundert und einer jungen Mutter in unserer Gegenwart miteinander zu verbinden.

Einen „weiblichen Text“ habe die Autorin hier verfasst.

Was dies bedeutet, erfahren Lesende schnell und intensiv – denn der Roman schneidet kräftig ins Herz.

Vor allem liest sich „Ein Geist in der Kehle“ als ein liebendes Lamento über die schmerzvollen Erfahrungen einer Mutter, die ihren Körper und ihr Herz bis zur letzten Grenze ausbluten lässt, um ihrer Rolle bis zum finalen Tropfen gerecht zu werden.

Darüber hinaus schildert Doireann Ní Ghríofa die seelische Bindung, die die in der Gegenwart lebende Protagonistin mit der Adeligen Eibhlin Dub Ni Chonaill empfindet. Sie findet ein Gedicht von Eibhlin, beginnt ihre Werke zu rezipieren und zu übersetzen – und verfolgt das ereignisreiche Leben der Adeligen, deren Spuren immer wieder zu verschwinden scheinen, sich nach einer mühsamen Suche allerdings immer wieder zeigen.

In Teilen wird Ni Ghríofa ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht: Möchte sie doch einen weiblichen Text verfassen, richtet ihren Fokus allerdings des Öfteren auf die Männer im Umfeld von Eibhlin; konzentriert sich nicht auf das Weibliche; lässt dasjenige, was die Frauen aneinander binden sollte, außen vor.

Doch erklärt sich diese auf den ersten Blick lückenhafte Darstellung zum Ende des Textes, da das Gedicht, das „Caoineadh Airt Uí Laoghaire“ oder auch Lamento für Airt Uí Laoghaire, in vollständiger Übersetzung an den Roman angehängt worden ist. Gemeinsame Themen wie weibliches Begehren, weibliche Schmerzen, weibliche Opfer und weibliche Trauer kristallisieren sich – auch wenn sie im Roman behandelt werden – hier am deutlichsten aus.

„Ein Geist in der Kehle“ ist ein sowohl strukturell als auch sprachlich komplexes Buch und bereits bezüglich der Themenwahl ungemein verdauungsintensiv. Dem kommt eine sprachliche Dichte hinzu, die der Lektüre in Teilen eine genussvolle Schwere, in Teilen eine etwas zu ausschweifende Langatmigkeit verleiht.

Eine solchen Intensität ist nicht jede*r Lesende gewachsen.

Liebe, Begehren, die Sehnsucht nach Freiheit und Autonomie, zu erkämpfende Ziele in einem modernen Frauenleben, werden in dieser Lektüre mittels zahlreicher Kompromisse erzielt.

Dass hierfür eher eine willkürliche Annäherung der gegenwärtigen Protagonistin an traditionalistische Verhaltensmuster vollzogen wird, als dass Selbstständigkeit, Stärke und Individualismus erzielt werden, entspricht einem Frauenbild, welches meines Erachtens an vielen Lesenden vorbeiredet.

Fazit: Summarum bestätige ich also die Zuordnung als weibliches Buch, weiblichen Text in einem weiblichen Kosmos – und verbleibe mit einer entsprechend eingeschränkten Leseempfehlung für gefühlvoll geneigte Lyrikliebenden.

Hier geht’s zur Leseprobe.

Doireann Ní Ghríofa: Ein Geist in der Kehle. Btb Verlag, 2023. 384 S., 24 € (D).

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