Literarische Abenteuer. Ayn Rand: „The Fountainhead“

© Kate Trysh

Russisch-Amerikanische Autorin und Philosophin Ayn Rand wird einerseits als Begründerin des radikalen Individualismus gelesen, andererseits als Prophetin der US-Amerikanischen Rechten kritisiert. Ihre politisch-philosophischen Romane bewirken bis heute polarisierende Meinungen – nicht nur in den Vereinigten Staaten.

In welcher Hinsicht kann „The Fountainhead“ als gelungener Roman bezeichnet werden – und welche radikalen Lesarten verbergen sich hinter der Handlung?


© Penguin Group

Bereits die Übersetzungsgeschichte von Rands Romanen ist kompliziert. „The Fountainhead“ (1943) erschien ursprünglich mit dem Titel „Der ewige Quell“ und in seiner neuesten Ausgabe als „Der Ursprung“.

Rands umfangreichster Roman „Atlas Shrugged“ (1957) ist als „Atlas wirft die Welt ab“, danach als Neuauflage unter dem Namen „Wer ist John Galt?“ (1997) und danach als „Der Streik“ (2012) veröffentlicht worden.

Diese Änderungen und Aktualisierungen bezeugen die bis dato unklare Deutung von Rands Werken, die irgendwo zwischen Belletristik und Manifest liegen. In dieser Gesellschaft ist „Fountainhead“ allerdings am ehesten eine Erzählung als eine Abhandlung und bietet daher einen guten Einblick ins Werk der kontroversen Autorin.


Kompositorisch und inhaltlich ist hier eine herausragende Geschichte vorzufinden. Rand weiß mit ihrem massiven Handlungsbogen umzugehen, bringt neue Figuren rechtzeitig ins Geschehen, vermittelt ihre Motive, Hintergründe und Ambitionen auf eine durchdachte Art und Weise.

Die Handlung spielt hauptsächlich in New York und dreht sich zunächst um den Architekturstudenten Howard Roark, der bereits im jungen Alter eigene Prinzipien und eine Vision für sein zukünftiges Werk besitzt und diese kompromisslos durchsetzen möchte.

Die Bedeutung von Architektur im Kontext der Menschheitsgeschichte ist übrigens diejenige Facette, die bis zum Ende des Romans auf faktisch-pragmatischer Ebene begeistert und fasziniert – denn Aspekte wie Wirtschaftlichkeit, Zweck und Ästhetik von diversen Bauvorhaben im Rahmen ihrer Vorgänger und ihrer zeitgenössischen Auswirkungen werden des Öfteren unter Kollegen ausdiskutiert. Wer sich also für Architektur interessiert, findet hier bereits eine spannende Thematik vor sich.

Und doch ist das alles schließlich nur Kommerz – denn Howard Roark ist zwar jemand, der etwas einzigartiges entwerfen und bauen möchte – und dennoch ist das ihn tragende Leitmotiv das entscheidende Element der Geschichte.


Der Kern von „Fountainhead“ liegt in den grundlegenden Prinzipien der einzelnen Figuren. Fundamental ist und bleibt die Kontrastierung von Roarks radikalem Individualismus und künstlerischem Purismus mit den korrupten, habgierigen, kapitalistischen Motivatoren seiner Gegenspieler.

Roark fälscht und heuchelt nicht. Er gibt seinen Standpunkt zur Branche allgemein und zu den Bedingungen seiner Arbeit preis und ist bereit, auf diesen Prinzipien zu beharren – auch wenn es ihm seine Würde, seinen Ruhm oder gar sein Leben kostet.


Nothing can be reasonable or beautiful unless it’s made by one central idea, and the idea sets every detail. A building is alive, like a man. Its integrity is to follow its own truth, its one single theme, and to serve its own single purpose. A man doesn’t borrow pieces of his body. A building doesn’t borrow hunks of its soul. Its maker gives it the soul and every wall, window and stairway to express it.(24)


Die gradlinige Vollkommenheit und Integrität, die Roark anstrebt, kann im gleichen Atem methodisch auf die restliche Figurenebene übertragen werden: Rand entwirft absolute Repräsentativfiguren mit klaren Charakterzügen, von denen jede:r eine klare Lebensphilosophie verfolgt. Sympathisch ist jedoch nur ihr Protagonist, denn nur er agiert ausschließlich im eigenen Interesse und unterliegt nicht dem Zwang, andere zu kontrollieren. Roarks große Ambition ist seine Baukunst, abseits jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung oder Auswirkung.

Dementsprechend löst bereits sein Modus Operandi äußerst divergierende Reaktionen aus – denn insofern man ihn als Künstler bewundern kann, kritisiert man ihn je nach Lesart des Romans als soziales Wesen umso mehr.

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Die Anzahl der Lesarten kann allgemein überwältigend werden, je mehr man über die philosophischen Werke der Autorin recherchiert hat. Man kann „Fountainhead“ als Liebesroman, als Dystopie, als Philosophie, als Abhandlung über den Zweck von Kunst, als kulturpessimistisches Manifest oder als grundlegende Kapitalismuskritik lesen. Allerdings widersprechen diese Facetten einander nicht.

Welche der besprochenen Gesichtspunkte hat für das Individuum in 2021 das meiste Diskussionspotential?


Vergleichsweise möchte Roark lediglich seinen individualistischen Interessen nachgehen – währenddessen eifern dämonisierte, genauso schwarzweiß als absolute Antagonisten dargestellte Figuren danach, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Ihre Skrupellosigkeit ist ebenso verschreckend wie die Transparenz desselben – und doch wird ihre wahre Natur von den meisten nicht erkannt.


I believe we’re all equal and interchangeable. A position you hold today can be held by anybody and everybody tomorrow. Equalitarian rotation.
Haven’t I always preached that to you? Why do you suppose I chose you? Why did I put you where you were? To protext the field from men who would become irreplaceable. Why do you suppose I fought against – for instance – Howard Roark?
(569)


Der Primärantagonist des Romans, Kritiker und sozialer Puppenspieler Ellsworth Toohey, sieht überragende Individuen wie Roark ganz im Sinne Nietzsches über der austauschbaren, durchschnittlichen, homogenen Masse stehen, empfindet sie jedoch als Gefahr für seine eigenen Zwecke und möchte sie daher in Gänze vernichten.

Ganz im Sinne eines diabolischen Influencers umschreibt Toohey die zeitgenössische – und zeitlose – Herdenmentalität par excellence:


If you get caught at some crucial point and somebody tells you that your doctrine doesn’t make sense – you’re ready for him. You tell him that there’s something above sense. That here he must not try to think, he must feel. He must believe. Suspend reason and you play it deuces wild.
[…]
Can you rule a thinking man? We don’t want any thinking men
.“ (637)


In der europäischen Literaturgeschichte würde Toohey zunächst als Kulturpessimist gelten – wenn er nicht so öffentlich menschenverachtend wäre. Das eigentlich Problem an seiner bösartigen Natur ist jedoch die Tatsache, dass diese für den Leser so klar zur Schau gestellt wird. Rand ist in ihrer Figurenpsychologie eben konsequent transparent; vom ersten Treffen an wird Toohey mit einem mulmigen Unterton beschrieben.


Persönlich berührte mich in Rands Roman nicht sosehr die Idee des nietzscheanischen Übermenschen, der Sieg des puristischen Individualismus – oder die Tatsache, dass es möglich ist, Menschen zu kontrollieren, indem man ihnen versichert, ihre Gefühle seien als valide Fakten wahrzunehmen. Hiervon hat uns ein gewisser orange getönter westlicher politiker [sic!] neulich in Kenntnis gesetzt. Selbstverständlich herrscht auch diese Kenntnis bereits seit Anbeginn der Politik.

Nein, die entsetzliche Wahrheit, die „Fountainhead“ entnommen werden kann und in unserer medialen Landschaft weiterhin floriert, ist der mühelos produzierte Ruhm des sichtbar Mittelmäßigen.

Die Umstände und Auswirkungen dieser beiden Sachlagen überschneiden einander natürlich – dennoch fallen als kritische Kulturkonsumentin weiterhin die mediale Verbreitung mittelmäßiger Inhalte, die bezahlte Veröffentlichung von Lobpreisungen für talentlose Umsetzungen ordinärer Ideen – und das zunehmende Wegbleiben konstruktiver Diskussionen über kritische Inhalte – mir am meisten auf.



Als paradoxal ist übrigens auch der Stil dieses Romans zu beschreiben. Zeitgleich verfügt Rand über einen erheblichen sprachlichen Apparat – dennoch erscheint ihre Sprache z. T. veraltet, und erinnert mit ihrer Ungelenkigkeit eher an Klassiker des 19. Jahrhunderts. Andererseits unterstützt das idealisierte-radikalisierte Figurenbild das sprachliche Bühnenbild – und am Ende fügen sich alle Elemente harmonisch zusammen.


Literaturgeschichtlich ist Rand problemlos in den Kanon US-Amerikanischer Autor:innen einzureihen. Es ist scheinbar unvermeidbar, als US-Amerikaner:in einen gehaltvollen Roman zu schreiben, ohne System- und Gesellschaftskritik in mehr oder weniger radikalem Ausmaß einzuarbeiten.

Obgleich man es von oben oder unten betrachtet – man denke noch an John Updike, Sinclair Lewis, oder Upton Sinclair, John Dos Passos – sogar Hubert Selby Jr. – Kritikboden für Systeme, Strukturen und Ideologien ist für eine denkende Person zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaftsschicht reichlich vorhanden.

Schließlich fährt man als reflektiertes, analytisches Individuum in einer von Konflikten, Heuchelei und Habgier geprägten Gesellschaft durchaus besser als naive Person mit Augenklappen.


In ihrer radikalen Art, ihrer absoluten Figurentypisierung und ihrer klar beschriebenen Vision für den idealen Mann hat Rand grundsätzlich bereits die Philosophie des Objektivismus entworfen, deren Manifest später in „Atlas Shrugged“ und diversen Monografien ausgefeilt wird. Doch steht man bei „Fountainhead“ noch an dem Punkt, wo ein Roman als Roman gelesen kann. Und als solcher bietet das Buch einen spannenden Handlungsbogen, ein faszinierendes Thema, interessante Figuren und hervorragend geschriebene und komponierte Kapitel zur Lektüre an.


Kennst Du den Roman oder ein anderes Werk der Autorin? Hat die Kenntnis um die Sachtexte oder Essays von Autor:innen immer einen entscheidenden Einfluss auf die Lesart ihres belletristischen Werkes?

Auf Deine Resonanz in den Kommentaren freue ich mich sehr!

Hier geht’s zur Leseprobe.

Die englischsprachige Leseprobe mit Vorwort der Autorin kann über bücher.de als EPUB aufgerufen werden. Eine deutschsprachige Leseprobe habe ich nicht gefunden.



Alle Zitate wurden gelesen und notiert aus der englischsprachigen Ausgabe mit ISBN 978-0-451-19115-1, erschienen 1996 bei Signet Classics / Penguin Group.

Bibliografie:

Titel: Der Ursprung
Autor: Ayn Rand
Seitenzahl: 1022
Erscheinungsdatum: 11.07.2019
Verlag: TvR Medienverlag
ISBN: 978-3-940431-66-0


Der Ursprung bestellen: Thalia * | Hugendubel * | bücher.de * | buch24.de *
The Fountainhead bestellen: Thalia * | Hugendubel * | bücher.de * | buch24.de *


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  1. Ich lese gerade „Atlas Shrugged“ oder „Der Streik“ in der Neuübersetzung, und finde, dass es beinahe mehr existenzialistischen Romanen in den 50er entspricht, die man im Dunstkreis Camus, Sabato, und Sartre kennt, also Thesenromane. Dos Passos finde ich wunderbar weitschweifig und Sinclair so krass trocken und nüchtern. Ayn Rand treibt mich manchmal in den Wahnsinn – und das Buch ist so wahnsinnig lang, diese Figur so unfassbar kontrovers, die Inszenierung so platt dichotomisch und trotzdem gibt es erstaunlich literarische Momente, die das alles wegpolieren und in einen Ausdruck bringen, der mich beeindruckt … Deine Rezension, die unter anderen, und nebenher, das Anhimmeln von Mittelmäßigkeit bespricht, trifft den Kern bei Rand. Das Verrückte an dieser Form der Kategorialisierung ist ja, dass jeder/jede sich ausnimmt. Seltsames Leseerlebnis. Viele Grüße.

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