Die Montagsfrage #128 – kontroverse Auffassungen von Autor:innen?

Die Montagsfrage ist ein Dialog, der allerlei Themen bezüglich diverser Aspekte des Literaturbetriebs umfasst. Die Frage wird wöchentlich gestellt von Antonia bei Lauter&Leise.

Heute geht es um Autor:innen, Bücher, persönliche Meinungen, Ideologien, Prinzipien – und die Konsequenzen von öffentlichen Kontroversen bei Fans und Verehrern. Schnallt euch an.



Die heutige Montagsfrage #128 lautet:

Wie gehst du damit um, wenn sich herausstellt, dass Autor:innen, deren Bücher du sehr schätzt, Auffassungen äußern, mit denen du nicht übereinstimmst?


Antonia hat bereits selbst darauf hingewiesen, dass sie diese Frage eine Weile vor sich hin geschoben hatte – da sie bezüglich ihrer Stellung zu J. K. Rowling und zeitgleich als Harry-Potter-Superfan schon länger einen aktiven inneren Monolog führe.

Um diesen Punkt direkt abzuhaken: Rassismus, Transphobie, Xenophobie, Homophobie, Menschenfeindlichkeit und rechtsradikale Ideologien lehne ich grundsätzlich ab. Somit haben Bücher von Autor:innen in meinem Regal auch nichts zu suchen, die solche Positionen vertreten.

Allerdings bin auch ich mit Harry Potter aufgewachsen, habe mir diese Bücher zugelegt ehe die Positionen der Autorin bekannt geworden sind – und finde die Bücher weiterhin fesselnd, die Zauberwelt, in die man sich versetzen kann, unvergleichbar komplex und faszinierend. Die Potter-Bücher stehen und bleiben in meinem Regal.

Parallel mache ich allerdings meinen Freundes- und Bekanntenkreis auf die aktuelle Sachlage aufmerksam, informiere zeitgleich über die Gründe, die an das Potterversum gebundene Geldmaschine nicht zu füttern und betrachte aufgrund der aktuellen Kenntnisse das Umfeld der Autorin – insbesondere derjenigen, die Rowling öffentlich unterstützt haben. Insofern entfernte ich auch andere Autor:innen, die auf meiner Wunschliste standen und diese Auffassung vertreten – ihre Werke werde ich weder kaufen, lesen noch auf irgendeine Art auf meinen Plattformen besprechen.

Anhand meines Kenntnisstandes zur Person schenke ich Autor:innen, deren Positionen der obigen Ideologien entsprechen, weder Zeit noch Geld. Jedoch geschieht auch dies immer nach bestem Wissen und Gewissen – denn nicht jede:r äußert sich klar und vehement in Twitter-Tiraden.

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Es ist auch grundsätzlich schwierig zu sagen, ob und wann man Autor:innen von ihrem Werk trennen kann und sollte. Literatur ist hier noch nicht einmal die schwierigste Facette des Diskurses.

Die Ansichten von Autor:innen können nicht immer in ihren Büchern gelesen und/oder erkannt werden. Ihre Briefe, oft Tagebücher, sind für Leser:innen einsehbar – jede:r, derdie sich für private Positionen einer Person interessiert, ist dementsprechend imstande, diese Informationen zu finden. Heutzutage kann der Twitter-Feed mit einer solchen Briefband-Veröffentlichung gleichgesetzt werden.

Allerdings ist nicht jede:r Lesende Biografie-Interessiert. So sagten auch viele von den an der Montagsfrage Beteiligten: „Ich beschäftige mich nicht intensiver mit den Autor:innen, wenn ich ein Buch lese.“ (z.B. Aequitas&Veritas und Büchernarr)

Ich beschäftige mich üblicherweise mit den Lebensläufen von gelesenen Autor:innen (und lese generell gerne Biografien) und versuche in jedem Beitrag eine Kleinigkeit zur Biografie einzufügen, da es mir wichtig ist zu zeigen, welche Einflüsse die Schreibenden auf ihr kulturelles und historisches Umfeld hatten. Schließlich bestehen ungemein viele spannende Zusammenhänge in der Literaturgeschichte, die man nur mit gewissen Vorkenntnissen erkennen kann.


Ist kritische Lektüre immer möglich?

Auch fand ich oft Meinungen wie „Die persönlichen Ansichten stören mich nicht, wenn sie nicht im Buch wiederzufinden sind“ (Torstens Bücherecke) – so kann man beispielsweise auch mit dem Fall H. P. Lovecraft umgehen, wie bei Nerd mit Nadel zu lesen war. Ich verehre Lovecrafts Werk, seine Erzähltechniken und Wortgebrauch – und finde (vielleicht aufgrund der Tatsache, dass es sich meist um explizit gruselige Fantasiewelten handelt) zeitgleich keine Spuren von seinen ideologischen Überzeugungen in den Erzählungen. Würde ich mich also nicht gezielt über den Hintergrund des Autors belehren, würden seine persönlichen Ansichten mir fernbleiben. Transparenz beim Gespräch über den Autor beachte ich – auch andere sollen meinen Kenntnisstand erfahren, falls ich positiv über ihn spreche. Dennoch sitzt diese Dissonanz stets im Hintergrund meiner eigenen Gedanken. Auch hier kann man diskutieren, und heftig argumentieren, ob das okay ist oder nicht.

Überdies gibt es genügend Autor:innen, deren Positionen lediglich ihre Zeit spiegeln. Vielerlei Werke, in denen ein für das 21. Jahrhundert unakzeptables Frauenbild, Positionen zur Gleichberechtigung oder Befürwortung sozialer Hierarchie vorkommen, sind als Beispiele der sozialen Norman ihrer Zeit nachvollziehbar.


Und wie ist das bei Künstler:innen? Wie viele misogyne Schweine sitzen heutzutage in Galerien und werden täglich von Massen verehrt und wortwörtlich auf ein Podest gestellt? Wie viele Musiker, die absolute Mistkerle sind, spielen wöchentlich in vollen Stadien? War diese Aussage gerade ein wenig überspitzt? Genügend Material für einen selbstständigen Beitrag.


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Kritische Lektüre von Negativbeispielen wie judenfeindliche Literatur im Kontext z. B. eines gut vorbereiteten Seminars kann unter gewissen Voraussetzungen auch einen didaktischen Wert haben. Allerdings nur, wenn man ganz genau weiß, welche Art Literatur man in der Hand hält. In diesen Fällen ist es obligatorisch und zwingend, sich auf die Lektüre vorzubereiten.

In vielen Fällen verzerren Medien Realitäten und Sachverhalte. Vor Kurzem habe ich „The Fountainhead“ von Ayn Rand gelesen, die als Begründerin des radikalen Individualismus gilt. Gerade bei ihrer allgemeinen Beliebtheit bei den Rechtsradikalen in den USA (und in geringerer Anzahl wohl auch in Deutschland), die mir bekannt war, habe ich den Roman sehr aufmerksam gelesen – und auch bei der Hintergrundrecherche gemerkt, dass ihre Philosophie nicht rechtsradikal ist, sondern als solches interpretiert werden kann. Wie radikale Fundamentalchristen es mit der Bibel tun, haben Rands Superfans ihr Buch genommen und gewählte Seiten zurechtinterpretiert.

Anhand der obigen Beispiele zeigt sich, dass jede der behandelten Situationen individuell ist und einer tiefergründigen Recherche bedarf. Es bestehen auch keine allgemeingültigen Richtlinien zum Vorgehen, wenn bei, vor oder nach einer Lektüre Informationen über kontroverse Situationen veröffentlicht werden.


Jedoch steht es ganz klar fest, dass eine kritische Lektüre wichtiger denn je ist und Bedenken sowie negative Erfahrungen mit Büchern – gerade bei uns als Leser:innen mit Plattform – an die Öffentlichkeit gehören.

Schließlich bildet sich jede:r eine eigene Meinung, und man kann Menschen leider seltener als gewünscht von dämlichem Rudeldenken abhalten (ich lasse an dieser Stelle einfach mal das Stichwort EM da).

Solange wir allerdings öffentlich auf persönliche Bedenken, kritische Passagen, Lesarten und Figuren in den eigenen Lektüren hinweisen und Erkenntnisse zu verachtenden Handlungen und Aussagen von Autor:innen weitergeben, tun wir unseren Teil für einen allgemeinkritischen Diskurs und setzen uns für Toleranz, Diversität und Solidarität in demjenigen Teil unseres Alltags ein, der für viele von uns an höchster Stelle steht, ein: die Liebe zur Literatur.

Alles andere ist und bleibt eine Grauzone.

Wie stehst Du zum Thema? Ist eine Trennung von Künstler:in und Werk möglich? Kann man mithilfe von gründlicher Vorarbeit die Bücher von verachtenswerten Personen von sich fernhalten – oder ist eine grundlegend kritische Lektüre das Wichtigste?

Auf Deine Gedanken ein den Kommentaren freue ich mich.


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