In der vierten Dimension. H. G. Wells: „Die Zeitmaschine“

Der Britische Schriftsteller, Historiker, Soziologe und Visionär H. G. Wells (1866–1946) ist sowohl für seine Sachliteratur als auch für seine Science-Fiction Romane wie „Der Krieg der Welten“ oder „Die Insel des Dr. Moreau“ bekannt. Wells‘ futuristische Entwürfe sind weiterhin wissenschaftlich faszinierend, unglaublich gehaltvoll und äußerst fesselnd. Er wurde viermal für den Nobelpreis für Literatur nominiert.

Was macht „Die Zeitmaschine“ zum verrücktesten Abenteuer in Wells‘ Gesamtwerk – und wieso ist gerade die zweisprachige Ausgabe so lesenswert?


© Anaconda Verlag

Herbert George Wells ist nicht nur ein Pionier und Vorreiter, wenn es um Science-Fiction geht, sondern zweifellos ein absolutes literarisches Muss für jeden, der sich mit dem Genre beschäftigen möchte.

Als Person, der Sci-Fi nicht so sehr am Herzen liegt wie manch anderen Leser:innen, möchte ich direkt ergänzen:

Wer auch nur eine Handvoll Werke aus dem Genre zu lesen gedenkt und seine Geschmacksnerven meistens anderswo austobt, sollte sich ebenso unbedingt einen von Wells‘ Romanen auf der minimalen Sci-Fi-Leseliste notieren.

Über die oben genannten Romane wurde im hiesigen Blog bereits geschwärmt:

Der Krieg der Welten“ schafft es, seine Leserschaft vollständig in die unheimlichen Ereignisse um den Protagonisten herum einzuwickeln; immer wieder teilt man sich die Gänsehaut mit der Hauptfigur, die vor extraterrestrischen Maschinen fliehen muss, die die Erde vernichten wollen – und ist wiederum umso mehr begeistert von der scharfsinnigen Lösung der Entsetzen erregenden Geschichte.

Während „Der Krieg der Welten“ sich vorrangig mit existenzialistischen Fragen beschäftigt, geht „Die Insel von Dr. Moreau“ auf moralphilosophische Brennpunkte ein, denn auf der Insel wird Vivisektion betrieben – mit gruseligen Konsequenzen. Auch in diesem Roman wird bis zum Ende der Geschichte eine haarsträubende Spannung aufrechterhalten.


Diese philosophisch maßgeblichen Schwerpunkte, die Wells in seinen Romanen nebst technischen und mechanischen Glanzleistungen ausgearbeitet hat (und das nicht nur für seine Zeit!) werden in „Die Zeitmaschine“ (The Time Machine, 1895) um sozialphilosophische Dilemmata ergänzt, die in Form einer äußerst beunruhigenden Zukunftsvision ausgetragen werden.


Ich vermag die Atmosphäre äußerster Trostlosigkeit
nicht zu beschreiben, die über der Welt lag.“(245)


Der Roman wird in eine Rahmenhandlung eingebettet: eine Abendgesellschaft findet sich bei einem Wissenschaftler und Tüftler ein, der seinen Gästen eine anscheinend unglaubliche Geschichte über eine Zeitmaschine erzählt.

Zu Beginn der Geschichte thematisiert er die Möglichkeit einer vierten Dimension und erwähnt, dass er den Bau einer Zeitmaschine bereits erfolgreich abgeschlossen hat. Ebenso kündigt er an, damit eine Zeitreise unternehmen zu wollen.


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Beim nächsten Treffen schildert der Zeitreisende seinen fantastischen Reisebericht: erfolgreich sei er mit der Zeitmaschine achthunderttausend Jahre in die Zukunft gereist.


Dass die Erde, seine Bewohner, technische Ausbauten und soziale Strukturen sich von der zeitgenössischen Realität vollständig abweichen würden, ist aufgrund der Zeitangaben sicherlich erwartbar. Doch ist das groteske Bild, welches der Zeitreisende zeichnet, einfach nur als wahnsinnig zu bezeichnen.

Wahnsinnig faszinierend.


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Ohne viel zum Inhalt zu verraten – was beim knappen Umfang von ca. 130 Seiten gar nicht so einfach ist: das Ausmaß der Auswirkungen des Auseinandertreibens sozialer Klassen und die daraus entstehende wirtschaftliche Ungleichheit artet in „Die Zeitmaschine“ so heftig im Dystopischen aus, dass die gesamte menschliche Spezies entzweit wird.


Können Sie sich vorstellen, was ich empfand, als ich
die Lage ganz begriffen hatte? Nein, das können Sie nicht.
Die Zeitmaschine war nicht mehr da!(99)


Die vollständige Polarisierung und darauf resultierenden evolutionären Änderungen gilt es, selbst innerhalb der Lektüre zu entdecken. Die Art und Weise, wie Wells sozioökonomische, diskursive, theoretisch-abstrakte Brennpunkte in Form von sehr echten grotesken Menschenbiestern und die Strukturen dieser futuristischen Gesellschaft allegorisiert und realisiert, zugleich unglaublich scharfsinnig und ebenso makaber.

Die Parallelen könnten im Grunde genommen als sehr offensichtlich gelten – jedoch beharrt der Zeitreisende bei jedem seiner Theorien zur Zusammensetzung und Wechselwirkungen dieser neuen Welt, dass er sich irren könnte – zwischen Stationen in der Handlung auch tatsächlich irrt, da noch nicht alle Sphären der Zukunftserde entdeckt werden konnten.

Der Zeitreisende bleibt Beobachter, wird nicht oder nur sehr gering zum Teilnehmer. Diese Offenheit und Einladung zur eigenen Interpretation erhöht die Komplexität des Romans nochmal um einiges.


Allerdings ist es nicht nur die visuelle und sozialphilosophische Schilderung ferner Realitäten, die in diesem Roman Interesse weckt und unterhält. Die Handlung wird von einer fortwährenden Spannung aus der allgemeinen Entdeckungsfreude, der graduellen Enthüllung der Geheimnisse eines fremden Ökosystems und der Beschreibung von unglaublich schönen, obwohl tödliche Gefahren bergenden Landschaften getragen.

Nicht nur das Dystopische oder das Theoretische, sondern Wells‘ erzählerisches Können im Allgemeinen machen diesen Roman zu einer beeindruckenden, bewegenden, abenteuerlichen Geschichte.


Ebenso großartig und lobenswert ist die Ausführung der Paralleltexte in der in 2017 erschienenen zweisprachigen Ausgabe im Anaconda Verlag. Obwohl der Roman auch als deutschsprachige Ausgabe erwerbbar ist, laufen hier der englische Text und der deutsche Text exakt parallel nebeneinander fort, was für ein wesentlich authentischeres Gesamterlebnis sorgt.

Der englische Text wurde in einer größeren Schrift gestaltet; ab und zu wurden Leerzeilen eingebettet, sodass Abschnitte immer wieder zur gleichen Stelle beginnen. Gerade Klassiker aus dem 19. Jahrhundert bedienen sich einer anderen Sprache – nicht nur im allgemeinen Wortgebrauch, sondern in Bezug zu Dingen, die für ein heutiges Publikum nicht mehr zum Alltag gehören. So ist es ebenso möglich, dem englischen Text zu folgen und bei Unklarheiten den deutschsprachigen zu Rate zu ziehen.


Wer sich auch im entferntesten Sinne für das Sci-Fi-Genre interessiert, dem seien Wells‘ Werke, insbesondere „Der Krieg der Welten“ und „Die Zeitmaschine“ mit Nachdruck empfohlen.

Wer sich als Freund:in der Klassikerlektüre, wissenschaftlich Interessierte:r oder Leser:in von Dystopien einstuft, möge hier ebenso unbedingt reinschauen.

Hier geht’s zur Leseprobe.

Bibliografie:

Titel: Die Zeitmaschine / The Time Machine
Autor:in: H. G. Wells
Übs.:in: Jan Strümpel

272 Seiten | 4,99 € (D)

Erscheinungsdatum: 07.02.2017
Verlag: Anaconda
ISBN: 978-3-7306-0481-6

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  1. Ich liebe diese Geschichte! Muss ich unbedingt mal wieder lesen.

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