
Die Montagsfrage ist ein Dialog, der allerlei Themen bezüglich diverser Aspekte des Literaturbetriebs umfasst. Die Frage wird wöchentlich gestellt von Antonia bei Lauter&Leise.
Diesmal geht es um die Interpretationsmöglichkeiten posthumer Veröffentlichungen als Erbgut und Kulturgut. Wem gehört das Werk eines verstorbenen Autors und warum?
Die Montagsfrage #133 lautet: Sollten unfertige Manuskripte posthum veröffentlicht werden dürfen?
Gerade dieser Aspekt der allgemeineren Frage nach posthumen Veröffentlichungen macht auch meines Erachtens die kniffligste Facette der Gesamtthematik aus.
Wieso?
Nun, einerseits gibt es Materialien wie Briefe, Dokumente und Tagebücher, die wertvolle Informationen zur literaturwissenschaftlichen und historischen Recherche zu einem Werk oder einem Autor beinhalten. Diese Materialien verhelfen zum besseren Verständnis von Autor:innen und dienen einer Vervollständigung der öffentlichen Perspektive auf sie.
Insofern es der Familie und dem Freundschaftskreis recht ist – und in den meisten Fällen passiert dies früher oder später glücklicherweise erfahrungsgemäß –, sollten solche Materialien meiner Meinung nach definitiv in einem historisch-kritischen Rahmen veröffentlicht werden.
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Den zweiten Aspekt der Diskussion machen unveröffentlichte fertige Manuskripte aus, die ebenso grundsätzlich veröffentlicht gehören, und gegebenenfalls aus bestimmten Gründen noch verzögert worden sind. Hier kommt es zwar auf den Einzelfall an, doch stehen den meisten Autor:innen mindestens eine oder zwei Personen nahe, die mit dem Stand der Dinge vertraut sind: Familienmitglieder, Freund:innen oder Lektor:innen werden die zu veröffentlichenden Werke – zumindest in einer idealen Welt – rechtens betreuen und zur Publikation begleiten.
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Nun kommen wir zur eigentlichen Frage: Wie verhält es sich mit unfertigen, unveröffentlichten Manuskripten?
Grundsätzlich kann bei beliebteren Autor:innen die Kapitalmaschine ihr Erbe vollständig ruinieren. Wenn Familienmitglieder und Verlagsmitarbeiter unvollständiges Material in ihre Krallen bekommen haben und darin Profit sehen, läuft das letzte Juwel des genialen Literaten Gefahr, diminuiert und defragmentiert zu werden.
Aus diesen Gründen sehe ich die posthume Veröffentlichung eines unfertigen Manuskripts nur und ausschließlich dann ein, wenn diese Tatsache der Leserschaft sofort und unmittelbar mit der Publikation präsentiert wird.
Ein Text ist zwar ein organisches Wesen und ändert sich in seiner Lesart mit der zeitgenössischen Gesellschaft und den aktuellen Diskursen – doch sollten diejenigen, die Autor:innen nahestehen und nichts mit der Produktion ihrer Werke zu tun haben, abseits von emotionaler Unterstützung und eines respektvollen Lektorats des neuen Romans oder Gedichtbands nicht in den Text eingreifen.
Es gibt genügend Autor:innen, die posthum veröffentlicht worden sind. Doch hat eben die Bemerkung und Erkenntnis dieser Tatsache zu weiteren fruchtbaren Diskussionen zum Thema geführt, weil niemand ein Monopol über die Absichten der Geschichte oder die eigentliche Kulmination der Narrative übernimmt.
Gerade in solchen Fällen ist es unglaublich interessant zu spekulieren, zu diskutieren, intertextuell gegen zu vergleichen und die eigene Meinung zu argumentieren. Doch eben die Tatsache, dass derdie Autor:in, derdie Urheber:in, derdie Sinnverleiher:in, das Elternteil, der Schaffende, etwas entworfen hat, was in seinem Sinne unmöglich zu Ende zu führen ist, stellt für mich eine ganz klare Handlungslinie und -grenze dar.
Wie stehst Du zum Thema posthume Veröffentlichungen?
Auf Deine Resonanz in den Kommentaren freue ich mich sehr!
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Was, wenn der/die Autorin sich eine Fertigstellung gewünscht hat 😉 ?
(Ich arbeite zB Manuskripte immer relativ schnell in einen „Ab hier kanns eigentlich jeder Depp vollenden“-Status, für den Fall das mich vor dem Feinschliff ein Blitz trifft…)
Klar, das kann man pragmatisch zB durch eine vorher-nachher-Ausgabe lösen, aber ich glaube dafür müsste man schon sehr berühmt sein…
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Wenn der Wunsch und Wille des Autors kommuniziert wurde, ist diesem auch mE zu folgen 😉
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Das Kafka-Dilemma… in der Theorie scheinen sich da alle einig, aber dann ein entdecktes Meisterwerk, das vll zwingen würde, die Literaturgeschichte umzuschreiben, zurückhalten? Da dürfte die Versuchung schon groß sein… Und heute wüsste man ja, dass es am Ende wahrscheinlich doch geleakt würde… vernichtet man es also sogar? Das zumindest könnte ich dann wieder nicht.
Noch etwas interessanter wird es, wenn das Manuskript etwas über den Autor verrät oder konkretisiert, das die Öffentlichkeit eigentlich wissen muss. Heideggers „Schwarze Hefte“ zB. Obwohl es wirklich kein Heldenstück war, den heftigen Antisemitismus des Autors aus seinen Schriften, Taten und Äußerungen zu rekonstruieren, wurde man dafür von Fans bis zur Publikation der Schwarzen Hefte heftig angegriffen. Jetzt kaum noch. Leider weiß ich nicht, ob Heidegger die Publikation untersagt hatte…
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