Die deutsche Essayistin, Erzählerin und Journalistin Katja Kullmann (* 1970) schreibt über Geschlechterfragen, Populärkultur, soziale Streitpunkte, das Frausein an sich und im Kontext soziokultureller Wandel. Ihr Debüt „GENERATION ALLY – Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein“ wurde 2003 mit dem Deutschen Buchpreis (in dem Jahr noch Bücherpreis genannt) in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet.
Warum ist Kullmanns fünftes Buch „Die Singuläre Frau“ trotz Diskrepanzen in Struktur und Inhalt eine absolute Leseempfehlung?

Katja Kullmanns neueste Monografie „Die Singuläre Frau“ (2022) begründet den Titelbegriff der singulären Frau – und die dringende Notwendigkeit eines solchen Begriffs in einer antiquierten Wortwelt, die für die Bezeichnung einer alleinstehenden, selbstständigen, Single-Frau zur Verfügung steht.
Erhellende Passagen über die Geschichte der Frauenrechte in Deutschland, Europa und US-Amerika reiht Kullmann im Wechsel mit Anekdoten aus dem eigenen Leben als singuläre Frau ein.
Es entsteht eine interessante Mischung aus Informationen und Reflexionen, ein Wechselspiel aus schaurigen Fakten – und inspirierenden Lichtblicken.
Während im Auftakt dieser Monografie zunächst unklar bleibt, ob Kullmann ausschließlich persönliche Geschichten erzählen und ihr eigenes Leben reflektieren möchte, werden vielfältige populär- und soziohistorische Ergänzungen prompt hinzugefügt.
Eine spannende Reise durch die Geschichte des Frauseins beginnt.
„Man muss sie jungen Frauen schon in sehr pastelligen Farben
und mit viel Weichzeichner versehen anpreisen, damit das Leben
mit Mann und Kind und Hund und all dem Dreck, den sie machen,
wirklich fabelhaft erscheint.“(208)
Kullmann stellt den Begriff der Amatonormativität vor, begründet von der US-amerikanischen Philosophin Elizabeth Brake. Darunter zu verstehen ist die „Annahme, dass es allen Menschen in einer exklusiven, romantischen, langfristigen Paarbeziehung besser geht und dass alle eine solche Beziehung anstreben“. (S. 87)
Die Autorin siedelt eine amatonormative Denkart eng neben dem regressiven Konzept der Heteronormativität an und konstituiert die erdrückend weite Verbreitung dieser Konvention – in ihrer Vergangenheit sowie Gegenwart.
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Im persönlich gefärbten Teil der Monografie erzählt Kullmann über ihre eigene Familie, die Kämpfe ihrer Mutter und Großmütter mit sozialen Konventionen diverser Dekaden – und reflektiert über die fehlenden Freiheiten sowie die Tricks vorangehender Generationen, ihren Wunsch nach Selbstständigkeit zu verwirklichen.
Darüber hinaus führt die Autorin alternierende Lebensmodelle anhand ihrer Kolleg*innen, Nachbar*innen, Bekannten aus und sinniert aus multiplen Perspektiven über die oben erwähnte Amatonormativität. Als unangenehme Erscheinungsform der Konvention benennt sie die „Monsterfrage“, die auf jeder größeren Feier und Veranstaltung notwendige Begründung des Alleinseins – die anscheinend immer und stets notwendige Apologie der eigenen Singularität an andere.
„Und wie wäre es, die Monsterfrage einmal andersherum
zu stellen? […] Sie sind etwa fest zusammen? Ehrlich?
Wie kommt das denn? Das passt gar nicht zu Ihnen.
Was glauben Sie denn, woran es liegt?„(172)
Die Bandbreite, die Aktualität und der simultane Weitgriff der Blicke auf Zeitgenöss*innen diversen Alters sowie literarischer Sphären beeindrucken – Kullmann führt auf derselben Seite einen gelungenen Sprung von Theodor Adorno zu Hengameh Yaghoobifarah aus. (vgl. S. 93)
Eine weitere interessante Verknüpfung zur singulären Frau wird in der Verbindung zur Hexe ausgeführt. Von den Worten der Schweizer Journalistin Mona Chollet inspiriert werden zwei semantische Felder treffend parallelisiert: ebenso wie die singuläre Frau ist die Hexe alleinstehend, reif, selbstbewusst, ohne Kinder, verwirklicht sich selbst und ist Herrin ihrer Lust sowie ihres Körpers. (vgl. S. 94).
Elegant – und beunruhigend – zieht Kullmann schließlich den Bogen zum eigenen unmittelbaren Umfeld.
Im kulturhistorischen Kontext erscheint es aus einer hiesigen 2022er-Perspektive nämlich weit am schrecklichsten, dass in Deutschland noch in den 1950er und 60er Jahren eine Gesetzgebung herrschte, die die Autorin zurecht als „Scharia-artig“ (S. 211) bezeichnet.
„Ein Ehemann durfte seiner Gattin die Berufstätigkeit verbieten,
sollte sie seiner Meinung nach ihre häuslichen Pflichten
[…] darüber vernachlässigen.“(211)
Von zeitgenössischen und relevanten philosophischen sowie journalistischen Perspektiven abgesehen geht Kullmann nicht nur auf die Revolutionen der sozialen Rolle und Funktionen einer Frau ein.
Sie beleuchtet die wirtschaftlichen Nachteile einer Single-Person auf dem Wohnungsmarkt, die sich vervielfältigenden Diskussionspunkte aufgrund der Diversifizierung von Eherechten, malt Ausblicke und Konzepte für ein soziales Miteinander im fortgeschrittenen Alter aus – und verknüpft diese Aspekte mit ihrer eigenen sozialen Situation und ihrem Umfeld in Wedding, Berlin.
Aus meiner Sicht sind die an Männer gebundenen „romantischen“ Passagen im Buch als einzige, dennoch deutliche Schwachstelle wahrzunehmen. Gerade zu Beginn der Lektüre war für einen guten Moment noch unklar, ob es sich bei dieser Lektüre um eine kulturhistorische Auseinandersetzung oder eine anekdotische Autobiografie handelt.
Zweites wäre von weniger Interesse gewesen.
Glücklicherweise lohnte die Entscheidung zur Geduld: bereits im zweiten Viertel des Buchs wurde die Autorin ihrem Anspruch gerecht, entpuppte sich der kluge Kern von Kullmanns Monografie, zeigten sich erhellende Verknüpfungen – und interessante, informative Ansätze begannen sich in ein vielschichtiges, lesenswertes Ganzes zu fügen.
„Die Singuläre Frau“ ist eine scharfsinnige, facettenreiche Auseinandersetzung mit den Positionen, dem Potential und den Problemen im Alltag, im Werdegang, im existenzialistischen Universum von alleinstehenden, selbstständigen, Single-Frauen.
Kullmann vereint gekonnt kulturhistorische und soziopolitische Details und knüpft diese mit Weitblick an multiple interessante Forschungsperspektiven sowie zeitgenössische Gedanken von Literat*innen und Journalist*innen.
Aus diesen Gründen spreche ich für „Die singuläre Frau“ eine Leseempfehlung aus.
Hier geht’s zur Leseprobe.
Bibliografie:
Titel: Die Singuläre Frau
Autor:in: Katja Kullmann
336 Seiten | 24,00 € (D)
Erscheinungsdatum: 14.03.2022
Verlag: Hanser
ISBN: 978-3-446-26939-2
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