Eine lauwarme Lektüre, ein phänomenaler Zeitzeuge – und eine enorme Enttäuschung. Im heutigen Beitrag teile ich meine Eindrücke zu drei Romanen von der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022: „Trottel“ von Jan Faktor, „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher und „Auf See“ von Theresia Enzensberger.
Als organische, erfreuliche Entwicklung im Zusammenhang mit dem Wachstum dieses Buchblogs begrüße ich die parallel wachsende Anzahl an Angeboten und interessanten Romanen und Sachbüchern, die ihren Weg in meine Peripherie finden.
Eine Nebenwirkung dieser Quantitäten ist allerdings, dass gewisse Lektüren die von mir beanspruchte Länge und Ausführlichkeit eines eigenständigen Blogbeitrags nicht hergeben – sei dies nun aus qualitativen, thematischen oder Zeitgründen der Fall.
Weder möchte ich meiner Leserschaft die entstandenen Eindrücke und Reflexionen zu potenziellen Leseempfehlungen vorenthalten, noch möchte ich diese Seite in einen aus knappen Beiträgen entstehenden Twitter-Feed umgestalten.
Ab heute werde ich daher – zusätzlich zu den regulären ausführlichen Buchbesprechungen – unter dem Serientitel „Drei Kurzrezensionen“ regelmäßig gebündelte Momentaufnahmen anbieten. Diese Texte entstehen meist als unmittelbare Eindrücke direkt während oder kurz nach der Lektüre und sollen lediglich eine Impression des jeweiligen Buchs darstellen. Weiteres können wir bei Interesse sehr gerne in den Kommentaren besprechen und ausführen.
Im heutigen Beitrag habe ich drei Lektüren von der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022 gebündelt.
Den Deutschen Buchpreis verfolge ich nun seit einigen Jahren mit mittlerem Interesse: einerseits sollten die gewählten Romane eine Abbildung unseres Zeitgeists sein; sowohl die literarisch-künstlerische als auch die soziokulturelle und politische Gegenwart abbilden und reflektieren. Andererseits sorgt eine genauere Betrachtung der geehrten Verlage und Autor*innen stets für Skepsis, ob hier nicht doch immer noch ein schieres wer-kennt-wen veranstaltet wird – seien positive Entwicklungen im Vergleich zur großen 2008-er-Debatte noch so deutlich bemerkbar.
Eine kritische Betrachtung der Institution und des Phänomens Deutscher Buchpreis findest Du auf meinem YouTube-Kanal.
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Nun jedoch weiter zu den oben erwähnten Romanen.
Jan Faktor: „Trottel“

Die komplexe Thematik des Historischen, gemischt mit dem Familiären, zudem der sprachlich enorm gelungene Text, lassen diese Geschichte genau wie argumentativ gewollt auf Lesende wirken: wuchtig, fesselnd, gehaltvoll.
Das Trotteln als Tätigkeit – vor dem vom Erzähler übrigens auf Anhieb vorgewarnt wird – wird, so Lesenden-geschmäcker sich unterscheiden, zum genialen oder fatalen Knackpunkt dieses Romans.
Im Grunde wird hier so viel Material bearbeitet, so viel Reflexionsboden erarbeitet – so viel Emotion verpackt. Doch so wie der Erzähler sich nur über etliche Umwege und augenscheinlich irrelevante Erinnerungsfetzen mit dem wirklichen Konflikt seines Lebens – seinen Sohn – auseinandersetzen möchte, indem er sich nicht damit auseinandersetzt –, wird man*frau entweder vollständig in den Exkursen verzaubert und vergisst währenddessen, worum es denn eigentlich ging, oder verliert die Geduld mit diesem – in Worten des Erzählers – Trottel, der nie zur Sache kommt.
Ganz im Geiste großer wie Grass oder Böll ist dieses feine Bauwerk von Momentaufnahmen und verblendeten Introspektiven denjenigen zu empfehlen, die sich eher auf die Seite von Sprache als Handlung schlagen, wenn es um genussvolle Lektüren geht. Denn Sprachlich ist „Trottel“ ein absoluter Genuss.
Andererseits kommt diese Pseudo-Leichtigkeit in hoher Schwermut ein wenig altbacken daher, ich habe das Gefühl, dieses Buch in der einen oder anderen Form bereits gelesen zu haben.
Fazit: lauwarme Lektüre.
Meinerseits eine weniger beeindruckende Imitation ohne authentischen Eigenanteil. Doch für Fans von Grass, Böll – oder Karl Ove Knausgård oder Heinz Strunk (insofern die Schnittstellen an dieser Stelle zu Genüge verdeutlicht werden konnten, mag die Leseprobe behilflich sein) – könnte hier eine passende Lektüre vorliegen.
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Daniela Dröscher: „Lügen über meine Mutter“

Eine fesselnde, gefühlvolle und zeitkritische Familien- und Emanzipationsgeschichte aus den 1980er Jahren.
Dröscher wirft den kindlichen Blick einer achtjährigen Tochter auf die zerbrochene Ehe der Eltern und den ständigen emotionalen Missbrauch der Mutter, deren gesamter Wert als Individuum durch ihr Gewicht etabliert wird, der ständig vom eigenen Ehemann weisgemacht wird, sie sei aufgrund von Extrakilos als Frau und Mutter „unpässlich“ – und die in ihrer persönlichen Freiheit auf jedmöglichem Wege eingeschränkt wird.
Nur aufgrund dieser Perspektive wäre „Lügen über meiner Mutter“ zu schablonenhaft, eine weitere traurige Mädchengeschichte. Doch die Einwürfe, Kommentare, Zwischenspiele, Reflexionen der erwachsenen Ich-Erzählerin und die Stimme der Mutter zwischen den Kapiteln vervielfältigen die Perspektive auf die Familie und verleihen eine reflexive Komplexität, die das Gelesene um einiges interessanter gestaltet.
Nur in der genau so gewählten Form – in kleinen Stücken zwischen die Kapitel gestreut – ergänzen die Reflexionen die erzählenden Passagen wirklich gekonnt, denn die Autorin sinniert nicht nur über den Inhalt, sondern beispielsweise über Stilisierungen, die Lesenden eventuell nicht so auffällig vorkommen würden.
Die Sprache ist nämlich sehr simpel, die Struktur gradlinig – es kommen aber immer wieder in Kursiv geschriebene Ausdrücke vor, die den sprachlichen Lokalkolorit darstellen sollen. Hierzu eröffnet Dröscher den Diskurs des Hochdeutschen als fremd und negativ in ihrem Heimatort und die Frage der Literarizität in der Darstellung von dialektischen oder lokalisierten Sprache.
Ein hochgradig spannendes Thema.
Der Plot-Twist am Ende ist auch unerwartet und stellt die Mutterfigur nochmal in ein ganz neues Licht, obwohl das Ende ein wenig plötzlich eintritt und die Geschichte nicht wirklich abschließt.
Es ist dennoch sehr verständlich, warum Dröscher ihre Handlungsfäden an diesem Punkt zusammenzieht. Zumal es hier interpretativ bereits einen Ausblick auf den nächsten Roman gibt, dem ich meinerseits mit größter Freude entgegenblicke.
Fazit: phänomenaler Zeitzeuge.
Für Fans feministischer Literatur, Familiengeschichten, Frauengeschichten und spannenden soziohistorischen Gesellschaftspanoramen ist Dröschers fesselnder, schmerzhafter, knallharter – und auch humor- und gefühlvoller – Roman ein absolutes Muss.
Zur Leseprobe
Theresia Enzensberger: „Auf See“

Leider konnte ich diesem Roman wenig bis gar nichts abgewinnen.
Obgleich die dystopische Prämisse der Geschichte anhand der zahlreichen angewandten Quellen und historischen Vorbildern, mit denen der Roman ausgeschmückt ist, sehr interessant erscheint, fallen bereits auf den ersten Seiten sprachliche, stilistische und erzählerische Schwächen auf, die den Gesamteindruck als mangelhaft erscheinen lassen.
Lücken in der Geschichte, oberflächlich gelöste Probleme und Figurenkonflikte, eine kaum existente psychologische Tiefe der einzelnen Figuren, schwache Kausalitäten, eine unüberlegte Umsetzung der Details in puncto Komposition und Erzählkulisse sowie eine fehlender Tiefgang mit Nuancen in der Geschichte – und zu guter Letzt schlicht und ergreifend schlechter Sprachgebrauch mit dilettantischem Wortgebrauch und ständigen Wiederholungen – habe ich bei der Lektüre von „Auf See“ von Anhieb vermehrt gemerkt und kann dahingehend in keinerlei Hinsicht eine positive Resonanz abgeben.
Fazit: enorme Enttäuschung.
Gerne können wir uns in den Kommentaren über weitere Short- und Longlist-Bücher unterhalten. Ebenso freue ich mich, wenn Du meinen YouTube-Kanal besuchst.
Mehr zu meinen absoluten Shortlist-Leseempfehlungen kannst Du entweder im Video oder in diesen Blogbeiträgen erfahren:
Defragmentierung der Stammzellen. Kim de l’Horizon: „Blutbuch“
Der Schatten hinter dir. Fatma Aydemir: „Dschinns“
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