Im Juni wird der Pride Month gefeiert – und nicht nur die Buchwelt, sondern der gesamte kapitalistische Konsumvertrieb deckt sich für exakt dreißig Tage in Regenbogenfarben ein. Verlage veröffentlichen Pride-Bücher, sogar der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat neuerdings den offiziellen Hashtag #Pridebuch eingeführt.
So kritisch diese begrenzte Aufmerksamkeitsspanne auch sein mag: Während des Pride Month besteht für jedermensch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, guten queeren Buchtipps zu begegnen. In diesem Sinne möchte auch ich Dir meine queeren Lieblinge zeigen – empfehlenswerte Bücher von, mit und über Queerness in all ihren Facetten.
Als queere Person feiere ich persönlich Pride in jedem Monat des Jahres, was die Veröffentlichung dieses Beitrags knapp abseits vom Juni inspirierte. Wer diesem Blog und meinem YouTube– sowie Instagram-Kanal folgt, wird die entsprechenden Hinweise jedoch bereits erhalten haben.
Während des Pride Month geht es vor allem um die Freiheit und das Recht, mensch selbst zu sein. Dies besprechen und unterstreichen die heute gezeigten queeren Bücher. Ich zeige ich Dir viele spannende Buchtipps aus den Rubriken Klassiker, Neuerscheinung und Sachbuch. Einige dieser Bücher liebe ich schon seit vielen Jahren, einige habe ich erst vor ein paar Tagen entdeckt.
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Douglas Stuarts Debütroman „Shuggie Bain“ (2020) spielt in den 1980er-Jahren in Glasgow, im Milieu der Arbeiterklasse, wo Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken eine Alltagsangelegenheit sind und eine falsche Antwort auf die Frage „Celtic oder Rangers“ zu tiefen Narben im Gesicht führen kann.
Anders zu sein in einem sozialen Raum, der keine Kapazitäten für Erfolg, Individualität oder persönliche Entfaltung vorsieht, ist das Schicksal des jüngsten Sohnes Shuggie, der lieber mit Puppen und Ponys als Fußball spielt. Wegen seines Gangs, seiner Sprechart und seiner Manier wird er von Schulkameraden, Lehrern, Nachbarn – und seinem eigenen Vater – gemobbt, geschlagen, bespuckt und missbraucht.
Diese Welt möchte es unter keinen Umständen zulassen, dass aus kleinen Jungs etwas anderes – mehr – wird als ihre Väter und ihre Mütter. Eine faszinierende Milieustudie, sondern auch eine enorm fesselnde und eine erschütternde queere Entwicklungsgeschichte.

Kim de l’Horizons autofiktionaler Roman „Blutbuch“ ist eine persönlichkeitsstarke, polarisierende Auseinandersetzung mit der fragmentierten Identität einer jungen nonbinären Person. Kim dekonstruiert nicht nur Begriffe rund um Queerness sondern auch die eigene Vergangenheit und die Familienhistorie.
Was in der Exposition zunächst als ein vor Liebe und Schmerz trotzendes Requiem für die geistig verwesende Großmutter beginnt, entwickelt sich parallel schnell in eine Obduktion der eigenen Sexualität und einer – stets erhellenden, teils ungemütlichen – existentialistischen Such-wanderung. Es folgen szenische Beschreibungen des großmütterlichen Hauses und Episoden aus der Kindheit, die Großmutter wird erstmal als Entität und als Mysterium als Erinnerung aus Fragmenten errichtet, parallel nimmt Kim die eigene Identität stückeweise auseinander – sich aufs gesamte Spektrum des körperlichen, psychischen und gesellschaftlichen beziehend.
Wer beispielsweise Elfriede Jelinek gerne liest oder den einen lesenswerten Roman von Juli Zeh “Spieltrieb”, wer Experimentalliteratur, Dekonstruktion von Konventionen und Grenzen mag und vor explizit körperlichen Szenen nicht zurückschreckt, dem sei Blutbuch also empfohlen.

„Power Bottom“ von Evan Tepest ist eine kunterbunte Mischung aus Formen, Gedanken, Dekonstruktion und Revolution. Literaturkritische Essays und persönliche Offenbarungen, erhellende Gedanken zum Themenkomplex Queerness und Sexualität. Feminine und nonbinäre Identitäten, die gesellschaftliche Dekonstruktion desjenigen, was im heteronormativen Kaleidoskop als attraktiv, begehrenswert und sexy gilt – Tepest nimmt nicht nur die eigenen Ideen von Lust und Sex konstruktiv auseinander, sondern blickt tief hinter die Kulissen derjenigen Ideen und Theorien, die es weiterhin gilt, zu überwinden.
Die Texte sind sprachlich hervorragend, sie reflektieren auf so viele unterschiedlichen Ebenen, haben kleine textuelle Hinweise auf viele spannende Kleinigkeiten aus bestimmten Nischen – bewegen immer zum Nachdenken, entblößen Tepest auf eine sehr mutige Art und Weise, und tragen klug und fesselnd zu brennenden Diskursen zum Thema queere Identitäten bei.

Michael Hunklingers Essay „Pride„ handelt von vielerlei spannenden Aspekten dessen, was mit und unter „Pride“ genannt und verstanden werden kann – und den Weg dorthin. Der Autor berichtet über die Geschichte von Pride, zieht aktuelle Diskurse und Strukturen einer sich verändernden Gesellschaft in Betracht, reflektiert über Deutschland und Österreich – und ergänzt seine Gedanken mit Berichten aus anderen europäischen Ländern, in Teilen mit einem weltweiten Blick.
Obwohl das schmale Büchlein viele Aspekte der queeren Realität und des Status quo aufgreift, die in der Community als bekannt und gegeben gelten, würde ich diesen Essay als übersichtlichen Einstieg und freundlichen Einblick auf und hinter den Regenbogen durchaus empfehlen.
In „Pride“ findet sich ein Gleichgewicht von Informationen und Meinungen wieder – eine balancierte Auseinandersetzung mit geschulterten Herausforderungen, kulturhistorischen Entwicklungen und aktuellen Hürden und Hindernissen. Hunklinger bindet popkulturelle Parolen erfolgreich an historische Siege für die queer culture – und fügt immer wieder eine Prise eigener Gedanken zur Mischung hinzu.

Sofi Oksanens Roman „Baby Jane“ ist zwar als neuestes Werk in der Reihe deutschsprachiger Übersetzungen, im Rahmen der chronologischen Bibliographie allerdings als zweiter Roman der Autorin erschienen. Die Geschichte spielt im Helsinki der 1990er Jahre und erfüllt die soziohistorischen sowie figurenpsychologischen Oksanen’schen Kriterien: das Buch handelt von der Liebesbeziehung und den fragmentierten Innenwelten zwei junger Frauen, die mit Depression und Panikstörungen zu kämpfen haben.
Nicht nur die aus der Krankheit entstehenden sozialen Probleme im allgemeinen, sondern auch die Belastungen in freundschaftlichen Beziehungen werden behandelt. Überdies wird der kontrollierte und unkontrollierte gewaltvolle Umgang beider Frauen miteinander thematisiert.
Oksanens Faible für unsympathische Protagonistinnen wurde mir vorrangig aus „Hundepark“ bewusst – obwohl auch die Hauptfigur aus beispielsweise „Fegefeuer“ gerade in ihrer Ambivalenz an Authentizität gewinnt. In „Baby Jane“ kombiniert Oksanen kompositorische Finesse mit figurenpsychologischer Spannung und schält essenzielle Informationen in einem bemessenen Erzähltempo nach und nach heraus.

Auf meinem YouTube-Kanal findest Du ein ausführliches Video, in dem viele weitere Buchtipps gezeigt werden. Es geht darüber hinaus aber auch um die Entstehung und die Gegenwart des Pride Month, queere Literaturgeschichte und Diversität in der Buchbranche. Ich erzähle Dir mehr über die historischen Ursprünge des Christopher Street Day und analysiere kritisch sowohl die Buchbranche als auch mein eigenes Leseverhalten in puncto Diversität.
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