Stille Wasser, tiefe Risse. Miku Sophie Kühmels ‚Kintsugi‘

Miku Sophie Kühmels Debütroman Kintsugi (2019) handelt von Liebe, Beziehungen, Kindern, Affären, Karrieren und Lebenswerken, wie so manch anderer Roman – doch Kühmel ist es mit Kintsugi gelungen, einen Hauch von Frische einzufangen, den wenige Autoren so verfassen können.


Der Titel des Romans beschreibt seinen Inhalt punktgenau:

Kintsugi ist das japanische Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu kitten. Diese Tradition lehrt, dass Schönheit nicht in der Perfektion zu finden ist, sondern im guten Umgang mit den Brüchen und Versehrtheiten.“ (Fischer Verlage)


Die Erzählung kreist um die zwanzigjährige Beziehung von Reik und Max, die sich – scheinbar – in ihrem Ferienhaus auf ein ruhiges Wochenende mit ihrem ältesten Freund Tonio und seiner Tochter einrichten. Die frigide, gar gewaltsame Milieubeschreibung dient jedoch bereits als Prolepse zum Ende der gemeinsamen Tage:



„Das Licht ist hart, die Luft ist schneidend kalt, der gefrorene Boden knirscht unter unseren Füßen.


Einer nach dem anderen erzählen die Figuren über ihre gemeinsamen Höhepunkte, Streitigkeiten, Kindheiten, Elternhäuser; über ihre Mühen und Ängste und über ihre Liebe. Dass Reik ein erfolgreicher Künstler und Max ein introvertierter Akademiker ist, sorgt für interessante Diskussionen und Anpassungen zum Gegenpart – beiderseits. Wie in der Kintsugi-Technik finden beide die individuelle Vollständigkeit und das erfüllende Glück darin, gemeinsame Fehler und Ungleichheiten erkannt und überwunden zu haben.


Doch stellt sich eben irgendwann die Frage, wie oft man eine Teeschale reparieren kann, sei die Arbeit noch so mühevoll und die Materialien noch so wertvoll.

Die Idee, dass eine Beziehung, die zwei Dekaden lang gehalten hat, an etwas Trivialem scheitern könnte, erscheint unlogisch und unintelligent – genauso ist der Gedanke, dass zwei, die sich so lange geliebt haben, ohne einander weitergehen wollen würden.

In dieser Hinsicht zeigt Kühmel auf eine stille und doch wirksame, gar malerische Art, wie Herzenswünsche sich auch grundlegend ändern können, wenn – unwissend – zwei Personen sich selber zu reparieren versuchen, um den anderen ihre Fehler doch nicht ganz sehen zu lassen.

Das große Manko der Erzählung entlarvt sich in der stilistischen Monotonie. Dass jede Figur zur Rede kommt, ist für die Erzählung konzeptuell nachvollziehbar (obwohl ich Pegas Part überflüssig fand und den anderen drei Figuren lieber mehr Platz eingeräumt hätte, kann ich verstehen, warum ihre verwirrten Leidenschaften und Tagträume für eine Darstellung des postmodernen Familienmodells wichtig waren).

Dennoch schafft Kühmel es nicht, die Figuren in der Art ihres Erzählens selbstständig werden zu lassen, sodass die Ich-Perspektive mit jedem Wechsel an Glaubwürdigkeit verliert. Keiner der vier Perspektivenwechsel bringt stilistische Finesse oder sprachliche Eigenarten mit sich, was von den dialogischen Szenen nur noch verschärft wird.


Diese für einen Debütroman nicht unübliche Unzulänglichkeit nimmt der Geschichte an sich dennoch weder ihre Einzigartigkeit, emotionale Tiefe, kulturelle Relevanz noch ihre kompositorische Schärfe. Insofern über stilistisches Dilettieren hinweggesehen werden kann – was man durchaus kann – ist Kühmels Werk ein wahrhaftig erfrischender kühler Hauch von kreativem Talent.

Trotz einiger Mängel ist mit Kintsugi eine kühne Erzählung über Formen der Liebe gelungen – ohne Tabus, Verzerrungen oder konventionelle Beschränkungen.


Es bleibt nur zu wünschen, dass mehr solcher wertvollen Perspektiven gelesen und geteilt werden.


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(Fotos von S. Fischer und The Lovepost)




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