Die tschechische Schriftstellerin, Übersetzerin und Lehrerin Alena Mornštajnová (* 1963) zählt zu den beliebtesten zeitgenössischen Schriftstellerinnen ihres Landes. Für ihren dritten Roman „Hana“ erhielt die Autorin 2018 den Tschechischen Buchpreis.
Woher stammt die immense Authentizität dieses Romans – und warum erzeugen einige kompositorische Entscheidungen ambivalente Reaktionen?

Alena Mornštajnovás neuester Roman „Hana“ (orig. 2017), übersetzt von Raija Hauck, basiert in großen Teilen auf wahren Begebenheiten und echten Personen.
Für die emotional intensive und kompositorisch komplexe Erzählung hat die Autorin Teile ihrer eigenen Familiengeschichte verschriftlicht.
Diese finden ihren Platz auf einer tristen Kulisse, bestehend aus den entsetzlichen historischen Ereignisse in Europa zu Zeiten des nationalsozialistischen Terrors.
Die Handlung bewegt sich grundlegend auf zwei Zeitebenen.
Im Auftakt des Romans erfährt die kleine Mira einen enormen Schock, als ihre Familie einer Pandemie zum Opfer fällt und sie zu ihrer stillen, merkwürdigen Tante Hana ziehen muss.
Miras Lebensgeschichte ist tragisch, Sympathie erzeugend und ab Seite eins fesselnd. Dennoch wird der Werdegang des Jungen Mädchens im Verhältnis zur Gesamthandlung als Schnörkel, humorvolle Rahmenhandlung und Attribuierung der Protagonistin positioniert.
Im Kern des Romans stehen nämlich die fürchterlichen Erfahrungen von Hana.
„Mit verweinten Augen sah ich nicht, wie es seine gierigen Finger
nach und ausstreckte, Hoffnungen erstickte und Tod säte.
Ich ahnte nicht, dass es ungesehen und ungehört unten am
Tisch lauerte und sich seine Opfer aussuchte.“(21)
Obwohl die Handlungsebenen in den 1930er und 1950er Jahren einige Parallelen aufzeigen – sowohl die junge Mira als auch die junge Hana müssen mit dem Bösen, mit Krankheiten, mit Terror kämpfen. Beide Mädchen erfahren Freundschaft, Liebe, Verrat, erzählen Geheimnisse und brechen geschriebene sowie ungeschriebene Gesetze.
Dennoch werden die gesamte emotionale Last und Menge an traumatischen Erinnerungen, die auf Hanas Schultern liegen, erst im letzten Viertel des Romans deutlich.
Die Rezeption der Protagonistin divergiert spätestens an diesem Punkt bereits in enormem Ausmaß.
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Ohne inhaltlich weiteres verraten zu wollen, möge man*frau einfach auf die Jahreszahlen der jeweiligen Kapitel schauen, um sich denken zu können, an welche historischen Ereignisse das Familienschicksal gebunden ist.
Wie Hana selbst als Tochter und Schwester in einem Akt des reinsten Egoismus das Unglück ihrer gesamten Familie versiegelt – interpretativ! – und warum niemand, wie die Autorin selbst sagt, rein gut und böse ist –, kristallisiert sich im Laufe der insgesamt drei Zeitebenen (denn auch die Jugendzeit der Elterngeneration wird in knappen Zügen ausgeführt, um das Gesamtbild mit wichtigen Kausalitäten zu vervollständigen) in einem hervorragenden Tempo aus.
Ebenso ist die gelungene Kombination von intensiver werdender Sympathie und Antipathie mit und zur Protagonistin hochgradig faszinierend. Mutig räsoniert Mornštajnová: Nur weil einer Figur furchtbares widerfahren ist, wird sie dadurch nicht zu einer vorbildlichen, freundlichen oder altruistischen Person.
Teile der komplexen Komposition erscheinen einerseits konstruiert – der Wechsel von Mira zu Hana, zwischen Dekaden, erfolgt mal abrupt, mal organisch – die Notwendigkeit beide Pole einer gemeinsamen Erlebniswelt zu rekonstruieren erscheint gerade zum Schluss des Romans in Teilen als überflüssig.
Andererseits kann man*frau genauso valide argumentieren, das düstere Schicksal von Hana wäre so entkräftend, dass eine etwas rosigere Gesamttönung im tristen Bild gelegentlich vonnöten ist.
„Sie fühlte einen scharfen Schmerz, ihr Brustkorb öffnete sich,
und wie aus einem aufgerissenen Sack der Sand unaufhaltsam
auf die Erde herausrieselt, so verflog aus ihr alles,
was sie noch an die Welt band.
Sie begriff, dass [spoiler] tot war.“(65)
Persönlich bleibe ich trotz der analytisch-kritischen Gedanken unter derjenigen Lesenden, die sich von der sehr formalen Konstruktion des Romans nicht stören ließen und die Zeitsprünge bei der reflexiven Bearbeitung von extrem emotionalen Passagen als Erleichterung empfanden.
Ebenso ist die Kapiteltitulierung mit Jahreszahlen, die oft als gezwungenes Mittel, oberflächliche Konstruktionen zu verkomplizieren, rüberkommt, im Fall „Hana“ als passende und gelungene Strukturierungsmethode hervorzuheben – schon, um zwischen drei „sie“-Perspektiven zu unterscheiden.
Gerade das Wissen um die Einbindung eigener Familienhistorie lässt diesen Roman noch um einiges authentischer wirken – Ereignisse, die bereits in vielen Facetten in Memoiren, Tagebüchern und dergleichen Texten in schmerzvollem Detail behandelt worden sind, spiegeln sich hier in einer in ihrer Komplexität sehr echt erscheinenden Protagonistin wieder.
Alena Mornštajnovás „Hana“ ist eine fesselnde, emotionale, mutige, spannende Familiengeschichte über historisches Leiden und moralische Ambivalenz, über absolute Menschlichkeit in lebensgefährlichen Zeiten. Der Roman behandelt nicht nur mehrere tragische Frauenschicksale, sondern bietet eine komplexe psychologische Landschaft zu Themen wie den Verrat von Blutsbanden und Freundschaftsschwuren, Schuld, Scham und Erlösung.
Wer gerne Romane von Nino Haratischwili, Lana Lux oder Sofi Oksanen liest, wird auch mit „Hana“ hervorragende Schmökerstunden verbringen können.
Hier geht’s zur Leseprobe.
Bibliografie:
Titel: Hana
Autor*in: Alena Mornštajnová
Übs.*in: Raija Hauck
352 S. | 14,00 € (D) (Tb)
Erscheinungsdatum: 14.02.2022
Verlag: Unionsverlag
ISBN: 978-3-293-20923-7
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