Die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb kann mittlerweile zurecht als Phänomen bezeichnet werden: die Autorin veröffentlicht jährlich Romane, die ausnahmslos ein breites Publikum begeistern – und in vielen Fällen ebenso viel Furore auslösen.
Nachdem ich begonnen habe, mich mit ihrem Werk bekannt zu machen, kann ich die Popularität der Autorin gut nachvollziehen und möchte auch euch für diese interessante Person und Erzählerin begeistern. In Teil 1 (hier) habe ich bereits meine ersten drei Leseerlebnisse vorgestellt, und nun geht es mit drei weiteren Werken der Autorin weiter.
Kosmetik des Bösen (Cosmétique de l’ennemi, 2001)
Kosmetik des Bösen ist vorrangig eine Geschichte, die das Potential einer alltäglichen Situation auf eine undenkbare Art und Weise ausnutzt: Im Wartezimmer neben einer lästigen Person sitzen zu müssen kann sich jeder Leser vorstellen und wird es vermutlich schon mal auch getan haben.
Doch was geschieht, wenn sich herausstellt, dass diese wildfremde Person uns besser kennt als wir selbst?
Und wenn wir herausfinden, dass dieser Mensch auch noch sehr eng an das schlimmste Trauma unserer Vergangenheit gebunden ist?
Mit diesem Roman geht Nothomb eigentlich über ihren üblichen Horizont hinaus und begibt sich in den komplexen Bereich der Psychopathologie und Schizophrenie. Es sollte eine klassische Doppelgänger-Geschichte mit einem klassischen Ausgang sein. Dennoch schafft die Autorin es auch in diesem Fall, den dunklen Humor der nihilistischen Elemente im Alltäglichen zu festigen und dem Leser in einer Reihe von schrecklichen Ereignissen vor Augen zu führen.
Eine unglaublich spannende Geschichte, deren Ende auf den ersten Blick erwartbar zu sein scheint – bis die Erzählung sich in eine komplett andere Richtung wendet.
Für jemanden, der Psychologie studiert hat, sind die pathologischen Nuancen der Protagonisten höchstwahrscheinlich zu oberflächlich und die Erzählung ohne diesen Kontext zu konstruiert, um diese Mängel auszugleichen.
Mehr kann von der bewusst gewählten Kurzform jedoch auch nicht erwartet werden. Als solche funktioniert Kosmetik des Bösen sehr gut und ist definitiv empfehlenswert.
Böses Mädchen (Antéchrista, 2003)
Ein Liebling und mit „Der Professor“ die erste Empfehlung für Nothomb-Neulinge. Böses Mädchen spielt auf den wichtigsten emotionalen Grundlagen einer Person: Anerkennung von der eigenen Familie, Vertrauen in einer neuen Freundschaft und Selbstwert als junge Frau.
Als Christa, eine in jeglicher Hinsicht reizende Person von ihrer Familie aufgenommen wird, um ihr aus einer Notlage zu helfen, verspricht ihre Anwesenheit für Blanche eine vollständige Erfüllung dieser Bedürfnisse – bis die dunkle, hässliche Seite von Christa sich nach und nach zu zeigen beginnt. Von da an liegt es an Blanche, Antichrista vor ihren Liebsten bloßzustellen und sich und ihre Familie vor der Heuchlerin zu retten.
Böses Mädchen ist ein Roman, der einiges an Ärger auslöst, da die Erzählung im Ganzen so unverschämt mit seiner Protagonistin umgeht und es der Antagonistin an nichts zu fehlen scheint. Wie sich die Narrative am Ende jedoch selbst ausbalanciert, ist in diesem Sinne eigentlich sogar untypisch für Nothomb.
Den Ausgang des Romans verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht.
Den Vater Töten (Tuer le père, 2011)
Wie in Metaphysik der Röhren oder Biografie des Hungers, die im ersten Teil besprochen wurden (link), beschäftigt Nothomb sich in diesem Roman mit einem sehr besonderen Mikrokosmos: Nevada, genauer Black Rock City und Las Vegas. Der Roman führt hinter die Kulissen von Zauberkunst, Feuertanz, erklärt das Innenleben von den größten Kasinos und endet mit dem weltbekannten Burning Man Festival.
Das Zusammenspiel von zeitgenössischen Elementen mit Mythen und Ideen aus der griechischen Antike ist eine einzigartige Kombination. Die Verbindung von zweierlei Geschichten, die irgendwann aufeinander prallen, ist äußerst spannend und vielschichtig, gerade wenn man die für Nothomb typische geringe Seitenzahl bedenkt, umso beeindruckender.
Die Autorin führt zwei von einer freien individualistischen Liebes-Ideologie getragenen Figuren auf eine klassische Ödipus-Geschichte zu – und lässt die Geschichte noch weit über den zentralen Konflikt hinauslaufen. Werden tatsächliche Väter in diesem Sinne getötet? Ja und nein. Den Ausgang des Romans verrate ich auch in diesem Fall nicht.
Ein Kritikpunkt ist in diesem Roman die oberflächliche Beschreibung der Aktionsfelder: Zauberkunst, Kasinos, Feuertanz und das Festival werden zum Teil detailliert erläutert, zum Teil nur sehr knapp erwähnt. Dadurch erscheint mir die Autorin, die meistens jedes Themenfeld mit rigorosem Interesse erkundigt, hier ein bisschen kurz gekommen zu sein und das empathische Investment in diesen Roman bliebt geringer als bei manch anderem Beispiel.
Dennoch ist auch Den Vater töten an sich eine sehr interessante Geschichte.
Kennt ihr Amélie Nothomb bereits und habt ihr einen Lieblingsroman von ihr?
(Fotos von Diogenes Verlag und Amazon (1) (2) (3))
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