Literarische Abenteuer. Wolfgang Schorlau: ‚Kreuzberg Blues. Denglers zehnter Fall‘


Kreuzberg Blues ist der zehnte „Dengler“-Krimi des Stuttgarter Autors Wolfgang Schorlau. In einer mitreißenden Ereignisfolge findet sich der Leser dem Privatermittler folgend in Berlin, Leipzig, Frankfurt und Stuttgart – denn der Roman dreht sich um den deutschen Immobilienmarkt.

Ein brennend aktuelles Thema, welches den schwungvoll geschriebenen Text hochgradig interessant macht – doch hat der Autor mit seinen Aktualitätsansprüchen am Ende des Buchs ein gewaltiges inhaltliches Problem erzeugt?



Der big bad des Krimis ist scheinbar die (fiktive) Baugesellschaft Deutsche Eigentum AG, die durch hinterhältige Strategien Großstädte für Normalverdienende finanziell unbewohnbar macht. Als in einem Wohnhaus Ratten freigesetzt werden und ein Baby in Lebensgefahr bringen, gehen die Bewohner in die Offensive.

Denglers Ermittlungen offenbaren einige brennend aktuelle Tatsachen über den deutschen Immobilienmarkt. Insbesondere die derzeitigen Ereignisse hinsichtlich besetzten Häuser in Berlin bieten spannenden Reflexionsboden für die wahrheitsgemäß geschilderte unmenschliche Situation auf dem städtischen Wohnmarkt. Noch ohne auf Parolen wie links, rechts und radikal zu sprechen zu kommen.

Das Buch geht noch so nebenbei auf moralphilosophische Reflexionen zu den Grundsätzen des Kapitalismus ein – und beschreibt kleinere Szenen wie Cafés, Straßenverkehr und Wohnhäuser in einem lebendigen, facettenreichen Stil.


Obwohl die Komposition mich auf den ersten Seiten zu sehr an Tatort erinnerte, ergibt sich diese Entscheidung als äußerst positiv für den Gesamteindruck. Der szenische Aufbau von den Kapiteln, die aufeinander zulaufende Ereignisse und miteinander kommunizierende Figuren im Wechsel zeigen, ist kompositorisch löblich.


Dass hier stilistisch bereits auf die bevorstehende Verfilmung zugearbeitet wird, ist klar erkennbar – der Stil verleiht dem Roman jedoch eine zusätzliche Komplexität, die die Spannung erhöht.


Von der Geschichte, der Szenerie und der Komposition her ist „Kreuzberg Blues“ also erstmal ein herausragender Roman.


In Hinblick auf die Detailebene werden gewisse Entscheidungen bemerkbar: Auf die Psychologie oder Charakterentwicklung der Figuren geht der Autor selten oder gar nicht ein – sie haben je nach Rolle in der Gesamthandlung eine oder zwei prägende Charaktermerkmale. Kleinere Erzähllinien, die nur zur Gesamtlösung beitragen, laufen teils zu sauber zum Ende. Obwohl ordnungsgemäß Leichen vorkommen und die Kulisse düster gehalten wird, sind die Protagonisten bei ihren Ermittlungen in zu viele gefährliche Situationen geraten, die von wesentlicher Konsequenz sein sollten.


Da dies mein erster „Dengler“-Krimi ist, kann dies auch sein modus operandi als Ermittler sein: ist der gute Mann dazu prädestiniert, immer Glück zu haben und unversehrt aus fraglichen Situationen zu entkommen? Der eine immer leuchtende Sonnenstrahl zwischen den Wolken, das immerwährende Gute zu sein?

Wenn ja, okay. Komissar Moser (und Komissar Rex) haben aus halsbrecherischen Verfolgungsjagden vergleichsweise auch sehr selten ernsthafte Wunden davongetragen. Wenn nicht: die Gegenüberstellung der scheinbar sehr realistischen Hauptproblematik und der absolut unmenschlichen und ekelhaften Antagonisten mit den zum Teil naiven Lösungen der prekären Situationen ist zum Teil besorgniserregend.



Das große inhaltliche Problem bahnt sich zum Ende der Erzählung an.

Der Autor ist meiner Meinung nach zu sehr mit der Aktualität seines Romans beschäftigt: Er habe noch das gesamte Skript geändert, um die Anfänge der Verbreitung von COVID-19 in die Geschichte einzubeziehen.

Meines Erachtens wäre das nicht nötig gewesen: Der Virus beschäftigt uns derzeit auch ungewollt täglich, und wenn Literatur als Hilfsmittel zum Eskapismus dienen soll, trägt diese Funktion dies in Zeiten wie solchen sogar mehr Gewicht. Es wurden und werden bereits zahlreiche Romane zum Thema geschrieben – ein packender, schneller, zielsicherer, fließend und dynamisch erzählter Krimi muss mich nicht auch noch daran erinnern, warum ich momentan draußen mit Maske rumlaufen muss und am Wochenende nicht nach Berlin reinfahren möchte.

Hier gehen persönliche Meinungen selbstverständlich auseinander, und das ist auch richtig so. Alles in Allem ist „Kreuzberg Blues“ ein wahnsinnig spannender Roman voller Substanz und Nervenkitzel. Krimi-Fans wird es hier an nichts fehlen.


Habt ihr bereits einen Dengler-Roman gelesen, und wie fandet ihr den neuesten Fall? Wie schätzt ihr das Film-Potential des Krimis im Vergleich zu anderen Dengler-Ermittlungen ein?

Auf eure Resonanz freue ich mich in den Kommentaren.

Bibliografie:

Titel: Kreuzberg Blues. Denglers zehnter Fall.
Autor: Wolfgang Schorlau
Seitenzahl: 416
Erscheinungsdatum: 05.11.2020
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
ISBN: 978-3-462-00079-5

Kreuzberg Blues online bestellen bei:  Thalia *   bücher.de *

Du möchtest meinen Blog unterstützen?

Kaffeekasse via PayPal
Buchwunschliste auf Amazon

Sollte ein von mir besprochenes Buch Dir gefallen, hast Du die Möglichkeit, es über die mit * gekennzeichneten affiliate Links zu bestellen. Dadurch verdiene ich eine Kommission. Dir fallen keine Zusatzkosten an.

Vielen Dank!



Kategorien:Home, Neuerscheinungen

Schlagwörter:, , , , , , , , ,

1 Antwort

Trackbacks

  1. Literarische Abenteuer. Sabine Rückert: ‘ZEIT Verbrechen’ – Literary Escapades | Literarische Abenteuer
  2. Literarische Abenteuer. Der Lesemonat im Rückblick, 11/2020 – Literary Escapades | Literarische Abenteuer
  3. Idyllische Brutalität: zwischen Gerstenacker und Großstadt. Nataša Kramberger: „Verfluchte Misteln“ – Literarische Abenteuer
  4. Montevideanischer Spiegel. Mercedes Rosende: „Falsche Ursula“ – Literarische Abenteuer

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..