
Und schon ist er vorbei…
Im Monatsrückblick lasse ich nochmal die Leseerlebnisse und -Eindrücke der vergangenen Wochen Revue passieren.
Die Buchvorstellungen der Monatsrückblicke sind kurz und bündig – zur tiefergehenden Rezension und Analyse folge dem jeweiligen Link hinter den Buchtiteln.
Hier sind meine Eindrücke und Gedanken zum Lesemonat November.
Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues. Denglers zehnter Fall
Kreuzberg Blues ist der zehnte „Dengler“-Krimi des Stuttgarter Autors Wolfgang Schorlau. In einer mitreißenden Ereignisfolge findet sich der Leser dem Privatermittler folgend in Berlin, Leipzig, Frankfurt und Stuttgart – denn der Roman dreht sich um den deutschen Immobilienmarkt.
Der big bad des Krimis ist scheinbar die (fiktive) Baugesellschaft Deutsche Eigentum AG, die durch hinterhältige Strategien Großstädte für Normalverdienende finanziell unbewohnbar macht.
Als in einem Wohnhaus Ratten freigesetzt werden und ein Baby in Lebensgefahr bringen, gehen die Bewohner in die Offensive.
Obwohl die Komposition mich auf den ersten Seiten zu sehr an Tatort erinnerte, ergibt sich diese Entscheidung als äußerst positiv für den Gesamteindruck. Der szenische Aufbau von den Kapiteln, die aufeinander zulaufende Ereignisse und miteinander kommunizierende Figuren im Wechsel zeigen, ist kompositorisch löblich.
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Don DeLillo: Die Stille
Die Stille (2020) von Don DeLillo ist eher eine Erzählung als ein Roman: Sie umschreibt eher einen Moment als eine Handlung; eher einen Tag als ein Leben; eher einen Zustand als eine Entwicklung.
Zwei Szenen werden unmittelbar vorgeführt. Ein Ehepaar, zurückkehrend aus dem Urlaub, im Flug nach Hause. Sie, handschriftliche Notizen machend und in die Introspektive versunken; er, zerstreut in den Informationsgrafiken der Bordcomputer. Ein fragmentierter Dialog findet statt, doch keine wirkliche Kommunikation erfolgt.
Ein zweites Paar, vor dem Fernseher sitzend, den Super Bowl schauend. Er, ins Spiel und die dazwischen liegenden Werbespots versunken, sie, gleichzeitig im philosophisch-existentialistischen Dialog mit ihrem Studenten, der zu Gast für diesen Abend eingeladen wurde. Obwohl die Figuren aneinander interessiert sind, laufen zwei Monologe nebeneinander her.
Gegen Ende der Erzählung treffen alle fünf Protagonisten zusammen, und reflektieren gemeinsam die Katastrophen, deren Opfer sie in den vergangenen Stunden geworden sind.
Obwohl die inhaltliche Schärfe, die reflexive Tiefe und die thematische Relevanz außer Frage steht, störte mich bei diesem “Roman” die Genrebezeichnung. Man kann DeLillo ohne Zweifel neben die großen und düsteren Autoren des 20. Jahrhunderts stellen – doch beispielsweise ein Sartre ist eben nicht für seine Romane, sondern seine Theaterstücke bekannt. Sein Roman Der Ekel beträgt über 200 Seiten.
Camus, der ebenso kurze Inhalte entwarf, hat Verwandlung als Erzählung kategorisiert. Meines Erachtens hätte dieser Untertitel auch DeLillos Buch zieren sollen – schon um die richtige Erwartungshaltung zu sichern. Im Druck sind es 112 Seiten, doch nach der Öffnen der 64-Seitigen ePub-Datei fragte ich mich erstmal, ob mir versehentlich eine Leseprobe zugesandt wurde.
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Nino Haratischwili: Die Katze und der General
Die georgisch-deutsche Autorin und Regisseurin Nino Haratischwili setzt mit ihrem Roman Die Katze und der General (2018) den Maßstab für großformatiges, multifacettiertes und herausragendes Erzählen.
Die Katze und der General ist eine Reise in die historische und existenzialistische Vergangenheit des reflektierenden Individuums: die Geschichte folgt zwei einander fremden Figuren, von denen einer aus Tschetschenien, die andere aus Georgien stammt. Beide haben eine Herkunft, Familiengeschichte, eine in beiden Fällen im Laufe von brutalen historischen Ereignissen zerstückelte oder zerstörte Heimat. Daraus bezogen tragen beide Hauptfiguren einen Schatten ihrer Selbst mir sich, der das neue Leben in Deutschland zwangsläufig prägt.
Die Freude, der Wille – und vor allem die Fähigkeit, überlange Passagen gekonnt umzusetzen, sodass man es wirklich durchgehend genießt, 700+ Seiten zu lesen, ist in der literarischen Landschaft unseres Jahrhunderts eher selten gesehen – und gehört zu den großen Kostbarkeiten von Haratischwilis Romanen.
Die Vergangenheit macht für die Gesamterzählung vom seelischen Gewicht her mindestens genauso viel aus wie die Gegenwart, die Entwicklung oder die Zukunft der Figuren, das kulturelle Kolorit und die Auswirkungen dessen sind geradezu wichtiger als das Ergebnis oder das Erbe ihrer Entwicklungsgeschichte. Haratischwilis Roman ist in seiner Grundthematik generationenübergreifend – und auch darin ist die wahre Bedeutung dieses Romans versteckt.
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Sabine Rückert: ZEIT Verbrechen. Echte Kriminalfälle aus Deutschland
ZEIT Verbrechen ist ein Kriminalpodcast der Wochenzeitung mit stellvertretender Chefredakteurin Sabine Rückert und geschäftsführenden Redakteur Andreas Sentker. Der Podcast hat im März den ersten Deutschen Podcast-Preis gewonnen. Aufgrund der beliebtesten Sendungen wurde nun ein Sammelband erstellt, in dem Hintergründe der Kriminalfälle reflektiert und Kontexte analysiert werden.
Rückert berichtet über die gefühllose Mutter, die ihre Säuglinge in Blumentöpfen begräbt, den Jugendlichen mit Migrationshintergrund und fatalen Aggressionsproblemen – und den Star-Dirigenten der Kirchenmusikszene, der seine Frau skrupellos ersticht.
Jede Gesellschaftsschicht, jede Altersgruppe und jeder kulturelle Hintergrund ist betroffen – diese Universalität bringt die Einzelgeschichten ein erhebliches Stück näher ans eigene Gemüt und zerrt fester an den eigenen Nerven.
ZEIT Verbrechen ist nicht alleinig ein Rückblick auf journalistische Perlen der vergangenen Jahre. Es ist an vielerlei Stellen eine Systemkritik und eine Aufforderung an diverse Instanzen, ihre Arbeit so zu leisten, dass Täter effizienter gefasst und entschärft werden können und weniger Menschenleben auf brutale Art und Weise enden.
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Polly Clark: Tiger
Tiger ist eine außergewöhnliche Erzählung über das königliche Tier, seine Herkunft, sein Habitat und die Gefahren, die ihm in seinem Revier begegnen. Doch darüber hinaus ist der Roman eine verknotete, komplexe und ungemein spannende Erzählung über diejenigen, die im Leben einer gewissen Tigerdame eine tragende Rolle spielen – und wie ihre Begegnungen mit den Raubkatzen ihren respektiven Werdegang von Grund auf ändert.
Polly Clark ist eine starke Erzählerin, sie zieht den Leser ab Seite eins in ihren Bann. Die Art, ihre Figuren und ihren Blick auf ihre Umwelt zu beschreiben, ist im Stil charakteristisch, reichhaltig und doch nicht übertrieben.
Ihre Handlungsstruktur ist gekonnt, und schließt sich erst zum Ende der Erzählung so kohärent ineinander, dass man das Ende des Romans nicht vorhersehen kann, ehe man kurz davor steht.
Darüber hinaus zeigt Tiger ebenso, wie auch gekonnte und gut gerüstete Menschen den Kürzeren ziehen, sobald sie sich in das Revier der Raubkatze hervorwagen – und dass man nie auf die Idee kommen sollte, der freien Wildnis gewachsen zu sein.
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Zusammengefasst war dieser Monat gefüllt mit außergewöhnlichen Leseerlebnissen – kaum habe ich bei irgendeinem Exemplar das Gefühl gehabt, es abzubrechen zu wollen, oder inhaltlich nicht interessiert zu sein. Das Gegenteil war bei den Sachbüchern der Fall, wie ihr im vorherigen Beitrag lesen konntet.
Nun seid ihr gefragt: Welche Highlights und welche Enttäuschungen brachte der November für euer Lesepensum? Auf welche Neuerscheinungen habt ihr euch besonders gefreut? Und welche Bücher sind auf eurer Wunschliste für die Weihnachtszeit?
Auf eure Resonanz freue ich mich in den Kommentaren!
Literarische Abenteuer. Der Lesemonat im Rückblick, 10/2020
Literarische Abenteuer. Der Lesemonat im Rückblick, 09/2020
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Kategorien:Neuerscheinungen
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