Sophie Schönberger ist Professorin für öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht. In ihrem Essay „Was soll zurück?“ thematisiert sie die Restitution von Kulturgütern aus einem nuancierten, überraschend variablen Blickwinkel.
Dass Recht und Gerechtigkeit wenig miteinander zu tun haben, überrascht kaum. Doch inwiefern dies die Restitution von Kulturgütern erschwert und wie bedenklich sich die aktuelle Gesetzeslage eigentlich gestaltet, führt die Autorin präzise und souverän aus.

Das Büchlein umfasst 134 Seiten – ein schönes Format für eine Abhandlung, die irgendwo zwischen Essay und Monografie liegt.
Die Erörterung relevanter historischer, kunsthistorischer, kulturwissenschaftlicher sowie gesellschaftskritischer Facetten der Gesamtproblematik wird in übersichtlich und doch detailliert vorgenommen:
Schönberger ist nicht umsonst juristische Expertin auf dem Gebiet.
Zunächst führt die Autorin diverse Formen der Nostalgie und Erinnerung aus, um Begriffen wie Geschichte, Gedächtnis, Trauer und Nostalgie ein differenziertes Verständnis zu verleihen.
Ihre drei Formen der Nostalgie (reflexiv, restaurativ, reparativ) bilden ein angemessenes Fundament für weitere Analysen zur Behandlung historischen Unrechts und der theoretischen (Un-)Möglichkeit zur Wiederherstellung des Status quo.
„Das Recht lebt an dieser Stelle damit im Grunde von Projektionen.
Nun ist der Schadensersatz nicht gerade für seinen Feenstaub und seine Fabelwesen bekannt.“(41)
In einem Wechsel aus kulturhistorischen Verknüpfungen, juridischen Informationen und essayistischen Äußerungen beschreibt Schönberger zur Restitutionsthematik gehörende Realitäten, Brennpunkte und Aktualitäten wie der Kunstraub des Nationalsozialismus, den multiplen Rechtsstreit des Hauses Hohenzollern und die aktuellen sowie zukünftigen moralischen Pflichten von Museen, Galerien und anderen im Kulturbetrieb agierenden Institutionen.
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Gekonnt bewegt die Autorin sich zwischen reellen Orten wie zum Beispiel das Berliner Bode-Museum, Angela Merkels Kabinett und Burg Rheinfels.
Zeitgleich weiß sie allerdings auch mit abstrakteren Begriffen wie Ungerechtigkeit, Erinnerung, Nostalgie und Tradition umzugehen. Ihre essayistisch-analytischen Gegenwartskritiken bezüglich aktueller Entwicklungen wie das „Comeback des Nationalstaats“ (31) oder die Ausbeutung der kollektiven Erinnerung als positiven Fixpunkt zur „Erhöhung oder auch zur Überhöhung der eigenen Position“ (62) richtet Schönberger ebenso treffsicher und fundiert aus.
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Schönbergers Schilderungen, Reflexionen und Folgerungen sind zeitgleich informativ erhellend, da vieles auf eine bündige Art kontextualisiert und in einen Rahmen eingebettet wird, der für einen kritischen Blick auf zum Beispiel die europäische Museumskultur bereichernd ist.
„Aus einer formaljuristischen Perspektive ist daher das meiste, was heute als koloniales Unrecht angesehen wird, nach wie vor nicht zu beanstanden.“(50)
Zeitgleich gelingt der Autorin ein kohärenter und gehaltvoller Überblick zur juridischen Situation bezüglich der Restitution von Kulturgütern, die sowohl Laien als auch Kenner:innen mit Interesse verfolgen können.
Tiefergehend analysiert die Autorin auf innenpolitischer Ebene Vorgehensweisen der Bundeskanzlerin bezüglich zu NS-Regimekritischer Kunst im Kabinett und vermerkt, welche Vorgehensweisen bei neuen Erkenntnissen juridisch und moralisch richtig wären.
Ebenso verfolgt sie Entwicklungen auf der deutschen Parteienlandschaft und hebt Arten der Nostalgie aufgrund aktueller Handlungen der Parteien hervor: besonders kritisch betrachtet Schönberger die Geschichtsverzerrung seitens der AfD.
Auf der Weltbühne hebt die Autorin Sachverhalte wie die kulturellen Auswirkungen des Raubs der Benin-Bronzen aus dem Königspalast von Benin-City in West-Afrika vor – sowie die juridischen Probleme bei der Rückgabe der Bibel und Peitsche von Hendrik Witbooi an die namibische Regierung.
Dass an dieser Stelle rechtliche Parallelen zum Themenkomplex Hohenzollern gezogen werden können, da es um Aspekte wie Nachfolger, Erbrecht und rechtliche Regelungen seitens respektiven Staaten und Ländern geht, verleiht dem Buch zusätzliche Tiefe und festigt den sachkundigen Ersteindruck.
Auch der Stil der Autorin soll ihr hoch angerechnet werden: historische Abhandlungen aus juridischer Perspektive laufen schon wegen ihres hohen fachbezogenen Wissensgehalts Gefahr, für einen Laien von niedrigerem Interesse zu sein. Schönberger schreibt jedoch in einem unglaublich angenehmen, leicht nachzuvollziehenden Stil und in einem angenehmen Tempo.
Relevante Illustrationen begleiten die Auslegungen, die dadurch – da es vorrangig um Schlösser und Kunstobjekte geht – die Materie durch visuelle Assoziationen näher bringen und das Leser:innen-Investment am Sachverhalt intensivieren.
Zu guter Letzt ist auch die komplexe Parallelperspektivierung der Ausführungen mit Blick auf Gegenwart und Vergangenheit, auf Kolonialismus und Nationalsozialismus, auf individuelle und kollektive Erinnerungskultur, vollends gelungen.
Schönberger wirft ein kritisches, ernüchterndes Licht auf eines der meistdiskutierten Themen der letzten Jahre – und erörtert aktuelle, potenzielle und vergangene Realitäten, die für unsere Gesellschaft von höchstem Interesse sein sollten.
Wer sich mit dem Themenkomplex Restitution von Kulturgütern aus einer vielfältigen, juridisch sowie historisch fachkundigen Perspektive beschäftigen möchte, wird in Schönbergers Essay zahlreiche aufschlussreiche Ansätze in einem übersichtlichen Format vorfinden.
Hier geht’s zur Leseprobe.
Bibliografie:
Titel: Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie
Autor:in: Sophie Schönberger
Seitenzahl: 158
Erscheinungsdatum: 26.08.2021
Verlag: C. H. Beck
ISBN: 978-3-406-77687-8
Zitat in der Beitragsvorschau von S. 31 f.
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