
Die britischen Politphilosophinnen Rebecca Buxton und Lisa Whiting haben mit dem Sammelband „Philosophinnen“ eine bedeutsame Perspektivenerweiterung zeitgenössischer wissenschaftlicher Diskurse in ihrem Fach bewerkstelligt und den herausragenden Frauen der Philosophiegeschichte den Platz gegeben, der ihnen zusteht.
Was ist neu an diesem Ansatz – und warum lohnt sich ein Blick uns Buch?

Die Herausgeberinnen setzen sich in ihrem Wirkungsraum in London für mehr Sichtbarkeit weiblicher Stimmen in der Philosophie ein.
So wurde auch „Philosophinnen“ (The Philosopher Queens: The Lives and Legacies of Philosophy’s Unsung Women, 2020) zunächst als Crowdfunding-Projekt gestartet, erhielt allerdings auf Anhieb überragenden Zuspruch.
Nun besteht seit diesem Jahr auch die Möglichkeit, die zwanzig Portraits einflussreicher Denkerinnen in deutschsprachiger Übersetzung zu lesen.
Verfasst wurden alle Texte ebenso von gegenwärtigen Philosophinnen – ein Buch von Frauen über Frauen also.
Doch definitiv nicht nur für oder an Frauen, sondern für diejenigen Leser:innen, die sich für eine echte Darstellung unserer Menschheitsgeschichte interessieren, die weibliche Mitwirkende des Öfteren ausschloss.
Titel und Prämisse des Buches erinnerte mich sofort an die Ausstellung „Fantastische Frauen„, eine Themenausstellung über die weiblichen Künstlerinnen des Surrealismus, die im Frühjahr 2020 in der Schirn in Frankfurt zu sehen war.
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Es entspricht nun einmal der Sachlage, dass in allen Künsten und Wissenschaften von der Antike bis in die Gegenwart Frauen wichtige und wirkungsvolle Positionen eingenommen haben, ihnen dennoch selten öffentlicher Raum neben den männlichen Spielern zuteilwurde. So liegt es an zeitgenössischen Wissenschaftler:innen, diesen Platz freizumachen und eine neue, bzw. bisher unbekannte authentische Perspektive auf die Kulturgeschichte zu eröffnen.
Wo „Fantastische Frauen“ dies für die Kunst der (surrealistischen) Moderne getan hat, bewerkstelligen Buxton und Whiting dasselbe für die Wissenschafts- und Diskursgeschichte der Philosophie.
Die zwanzig Portraits strecken sich zeitlich von der Antike bis hin zur zeitgenössischen Gegenwart – wie im Untertitel versprochen, kann hier über Frauen aus diversen Kulturen und Epochen gelernt werden, von Hypatia bis Angela Davis.
Die Kapitel sind der Logik halber chronologisch geordnet – „Philosophinnen“ kann grundsätzlich allerdings auch wie ein Nachschlagewerk angewandt werden: ob man nun über Simone de Beauvoir, Iris Murdoch, Lalla oder Angela Davis weiteres erfahren oder im gediegenen Tempo von vorne bis hinten durchlesen möchte.
Das Buch erforscht die Biografien der Frauen, kontextualisiert sie zu philosophischen Schulen und erörtert Kontakte und Beziehungen zu anderen Philosoph:innen.
Ebenso werden in den einzelnen Kapiteln interessante Theorien, Gedanken und Positionen der Philosophinnen übermittelt. Beispielsweise blieben mir die Auslegungen Diotimas aus dem allerersten Kapitel bis zum Ende der Lektüre im Auge:
„Diejenigen Menschen mit körperlichem Zeugungstrieb suchen sich einen Partner,
mit dem sie Kinder haben und sich so einen Erben schaffen können.
Diejenigen aber, die geistigen Zeugungstrieb verspüren, suchen sich andere,
mit denen sie ihr Wissen und ihre Tugenden teilen können.“(18)
Viele der Denkerinnen haben sich aus gegebenem Anlass explizit über die Position der Frau in ihrem zeitgenössischen Kontext geäußert. So erfahren Leser:innen beispielsweise über Essays und Abhandlungen von Ban Zhao und Mary Astell über die jeweiligen Gedanken zur Beschaffenheit einer Ehefrau und über angebrachtes Verhalten einer Frau in der Gesellschaft.
Ebenso werden in allen Kapiteln interessante diskursgeschichtliche Zusammenhänge gezeigt: die selbstständige und somit kontroverse Hypatia, bei der der Begriff Feminismus grundsätzlich bereits zu finden war, wurde von ihren Mitmenschen gerade aufgrund dieser Eigenschaften und Mut zur eigenen Stimme verschmäht und brutal ermordet.
Bei weiteren Denkerinnen werden zahlreiche anregende Ideen und Zitate zur politischen Position der Frau, sexuellen Befreiung des Individuums und Hoffnungen auf eine gleichberechtigte Gesellschaft geschildert.
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Lobenswert ist zudem die gleichbleibende kritische Perspektive der Verfasserinnen auf die Forschung, Interpretation und Lesarten der Denkerinnen. Beispielsweise wird im Kapitel zu Hannah Arendt auf ihren Rassismus hingewiesen und erkannt:
„An dieser Stelle sollten wir uns nur daran erinnern,
dass kein Denker über alle Kritik erhaben ist.“(102)
Gerade anhand solcher Stellen erhöht sich die Authentizität einer wissenschaftlichen Lektüre: die Verfasserinnen versuchen zwar die Auswirkungen, die kulturelle Resonanz und die tragende Rolle der Denkerinnen für ihre Zeit und Zeitgenoss:innen aufzuzeigen, möchten allerdings dennoch niemanden auf ein erzähltes Podest stellen und ersuchen auch die Menschlichkeit der Denkerinnen samt möglicher Kritikpunkte ans Licht zu bringen.
Möchte man auf hohem Niveau meckern, haben mir persönlich als frühere Verfasserin wissenschaftlicher Texte Fußnoten und Belege für direkte Zitate gefehlt. Allerdings finden Interessierte am Ende eines jeden Kapitels eine Liste weiterführender Lektüren, die für Sachkenner sicherlich aufschlussreich sein wird.
Am Ende des Bandes ist eine Liste mit weiteren Philosophinnen aufgeführt, diese beinhaltet allerdings nichts außer ihren Lebensjahren. Dies schien mir ein wenig unvermittelt.
Fotos der Denkerinnen hätten den Gesamteindruck gegebenenfalls ebenso verbessert – doch ist ein als Crowdfunding-Projekt entstandenes Buch selbstredend kostengünstig auf den Markt zu bringen. Angesichts des sehr gut verfolgbaren Stils und für Einsteiger:innen sowie der auf Laien zugeschnittenen Textgestaltung stört das Fehlen visueller Elemente auch nicht im Geringsten.
„Philosophinnen“ ist ein erhellender Sammelband – gleichermaßen für wissenschaftlich Interessierte, Biografie-Fans, Feminist:innen und philosophische Sachkenner:innen . Die zwanzig Portraits bieten erfrischende Perspektiven auf die Wissenschaftsgeschichte sowie fundierte Anregungen zum kritischem Denken bezüglich der patriarchal orientierten Geschichtsschreibung im Allgemeinen.
Aufgrund der sehr langen Liste weiterer Philosophinnen bleibt nur noch zu hoffen, dass auch ein zweiter Band bereits in Arbeit ist.
Kennst Du das Buch bereits? Hast Du eine allgemeine Meinung zur aktuellen Darstellung und Sichtbarkeit von Frauen in den Wissenschafts- und Diskursgeschichten?
Auf Deine Resonanz in den Kommentaren freue ich mich sehr!
Hier geht’s zur Leseprobe.
Bibliografie:
Titel: Philosophinnen
Hg.:in: Rebecca Buxton | Lisa Whiting
Übs.:in: Roberta Schneider | Daniel Beskos | Nefeli Kavouras
Seitenzahl: 208
Erscheinungsdatum: 08.03.2021
Verlag: mairisch
ISBN: 978-3-948722-03-6
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