Die Montagsfrage ist ein Dialog, der allerlei Themen bezüglich diverser Aspekte des Literaturbetriebs umfasst. Die Frage wird wöchentlich gestellt von Antonia bei Lauter&Leise.
Heute geht es um die Beziehung von Komplexität und Literarizität in belletristischen Texten.
Die Montagsfrage #139 lautet: Muss ein anspruchsvolles Buch schwer zu lesen sein?
Es erscheint als der einzige logische Weg, diese Frage mit einem eindeutigen „Nein“ zu beantworten. Allerdings möchte ich der Thematik näher auf den Grund gehen und ein paar aktuelle Leseeindrücke mit euch teilen, die meine Argumente zum Thema unterstützen und ergänzen.
Um die Frage selbst ein wenig zu spalten: „anspruchsvoll“ kann ein Buch sowohl stilistisch als auch inhaltlich sein. Diese zwei Facetten haben auf den ersten Blick recht wenig miteinander zu tun.
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Vorrangig finde ich es persönlich sogar sehr spannend, wenn Bücher wie Emi Yagis „Frau Shibatas geniale Idee“ oder Cho Nam-Joos „Kim Jiyoung, geboren in 1982“ in einer scheinbar unscheinbaren Sprache sehr komplexe Themen tiefergehend behandeln.
Sich unvermutet einem lockeren, simplen Stil hinzugeben, einer ziemlich zügigen Handlung zu folgen und plötzlich von der Komplexität dessen, was sich zwischen den Zeilen verbirgt, überraschen zu lassen – so mancher Roman hat bei mir mit seiner stilistischen Gradlinigkeit und Übersichtlichkeit punkten können.
Dahingehend ist es meine Überzeugung, dass ein inhaltlich anspruchsvolles Buch diesen Anspruch auf einer stilistischen Ebene nicht mit korrelierender oder überschwänglicher Komplexität widerspiegeln muss.
Im Gegenteil: gerade die übertriebene Anwendung von stilistischen Schnörkeln, allegorischer Sprache und ungewöhnlichen Formulierungen entpuppen sich oft als Fallen, die den Gesamteindruck einer Lektüre um einiges mindern können, wenn Autor:innen mit ihrem Material nicht gebührend umgehen können.
Hier kommen wir an einer bereits in anderen Montagsfragen besprochenen, umfangreichen Diskussion an: was verleiht einem Buch eine hohe Literarizität und Authentizität?
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Ersteres: Der Begriff „Literarizität“ wird als eine hohe Dichte rhetorischer Mittel in belletristischen Texten verstanden. Jedoch müssen diese Mittel auch gekonnt angewandt werden, um aus einem Text eine Geschichte mit Spannung, Dynamik und psychologischer Dichte zu machen.
Eine literaturhistorische Zäsur gilt es an diesem Punkt zu ehren: Avantgardistische Kurzformen, Gedichte und Texte der literarischen Moderne – damit ist der Jahrhundertwechsel und der Beginn des 20. Jahrhunderts gemeint –, deren inhaltliche und formale Umsetzung die sozioökonomischen Umbrüche, kulturelle Befreiung und den Sieg kreativer Individualität der Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelten.
Nun befinden wir uns in einer Post-post-moderne (ich bezeichne unsere Zeit literarisch gerne als Post-Klassik), in der gleichberechtigter Rezeptionsraum für traditioneller geneigtes Schreiben sowie exzentrische Belletristik vorhanden ist.
Es gibt mehr als genügend Beispiele für hervorragende, gelungene Experimente, die konventionelle Erwartungen übertreffen, indem sie ungewöhnliche Kombinationen verwenden.
Zu diesen gehört beispielsweise „Adas Raum„: Ein Roman, der Objekte als Personen behandelt und sie beobachten und erzählen lässt und ihre Protagonistin als unterschiedliche Personen über Jahrhunderte wiederbelebt, um dieselbe Geschichte zu erzählen.
Ebenso mischen Romane wie „Mai bedeutet Wasser“ und „Im Düstern Wald werden unsre Leiber hängen“ Realität und Transzendenz, lyrische Elemente mit Prosa und Fantasie mit Historie. Mit Genres, Sprache und Erwartungen spielt nebst der Vertrauenswürdigkeit der Protagonistin „Der Tod in ihren Händen“ – um nur einige wenige Beispiele genannt zu haben.
Zahlreiche Autor:innen gehen bereits in ihren Debüts über das Bekannte, Konventionelle hinaus und realisieren ihre Schreibprojekte mit phänomenalem Erfolg.
Romane dürfen und sollen Grenzen herausfordern, zerstören und neu definieren.
Allerdings ist gerade das Gerüst des Textes, welches – auch wenn komplex und anspruchsvoll gestaltet – eine gewisse Kohärenz besitzen muss. Wenn Autor:innen sich stilistisch zu hohe Ziele setzen und nicht auf eine angemessene Komplexität in ihrer Handlung achten, laufen sie sehr schnell Gefahr, plakativ und uninteressant zu werden.
Nicht jede:r, der eine individualistische Erzählperspektive erstrebt, ist auch direkt imstande, diese stilistisch umzusetzen. Auch persönlich stehe ich mit einzelnen Kurzgeschichten noch am Beginn einer Autorinnenexistenz und wähle stilistisch bewusst die „mehr ist weniger“-Herangehensweise.
Eine höchst komplexe Handlung mit einzigartigen Figuren, geschrieben in einem einfachen, geradezu leichten Stil – kann viel eher mit Überraschungen und unerwarteter Wirkung gefüllt werden.
Müssen anspruchsvolle Bücher Deines Erachtens schwer zu lesen sein?
Auf Deine Gedanken zum Thema freue ich mich sehr.
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