
Die Montagsfrage ist ein Dialog, der allerlei Themen bezüglich diverser Aspekte des Literaturbetriebs umfasst. Die Frage wird wöchentlich gestellt von Antonia bei Lauter&Leise.
Heute sprechen wir über die Reichweite des eigenen literarischen Gesichtskreises und die Bedeutsamkeit einer multikulturellen Leseorientierung.
Die heutige Frage lautet: Liest du auch Bücher, die in einem anderen Kulturkreis spielen als deinem eigenen?
Dass diese Frage einem Literaturliebhaber gestellt wird, erschien mir erst einmal redundant. Natürlich erforscht man alle möglichen Sphären der Literatur. Doch anscheinend ist das in Deutschland gar nicht so üblich, und das ärgert mich persönlich auch schon jetzt ein wenig. Da ich in Estland geboren und aufgewachsen bin, habe ich keine Kenntnisse erster Hand zur Schullektüre in Deutschland, doch habe ich mit vielen FreundInnen darüber Gespräche geführt. Es ist eben so, dass man sich hier vorrangig mit eigenen Kulturkontexten beschäftigt und wenn, dann Europäische oder Nordamerikanische, doch kaum Weltliteratur bespricht.
Nun, das ist ja schön und gut, es wurde hier auch einiges an wertvollen Werken geschrieben, die sich auch heute zumindest in Europa und Nordamerika eine weitere Relevanz und Beliebtheit erfreuen – aber andere Kulturkreise gar nicht berücksichtigen? Studiengänge und Leistungskurse nur und ausschließlich zu verschachteln ohne gegenseitige Kontextualisierung? Scheint ein wenig albern. Vielleicht hat es sich ja mittlerweile verbessert? Mein letzter aktiver Kontakt mit Schule und Universität ist schon einige Jahre her.
Was nun mich persönlich betrifft, war ich schon immer stark an anderen Kulturen aller Weltteile interessiert. Japanische, chinesische und koreanische Literatur zum Beispiel finde ich faszinierend. Ebenso spricht mich indische, persische oder arabische Literatur an. Die Geschichten von Menschen haben immer etwas allgemeingültiges in sich, sei es Liebe, Enttäuschung, Trauer, die Verwirklichung eigener Ambitionen, der Kampf mit konventionellen oder unkonventionellen Hindernissen und so weiter. Nur durch die Erfahrung kultureller Vielfalt und der Entwicklung einer dementsprechenden Sensibilität kann man den eigenen Gesichtskreis erweitern und sich als reflektiertes Individuum vervollständigen.
Ich würde eurozentrischen Lesern sogar sehr dringend empfehlen, eine Leseliste im Stil von „in 80 Büchern um die Welt“ einmal durchzuarbeiten, denn interessante Lebensgeschichten gibt es aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt zu lesen und neue Kenntnisse über sich selbst findet man an ganz unerwarteten Stellen.
Mein Lesepensum versuche ich auch derart zu richten, dass in der Liste gleichermaßen viele Kontinente Aufmerksamkeit finden: als Beispiele des zuletzt gelesenen habe ich anzubieten: Vereinigte Staaten, Deutschland, Irland, Malawi, Korea, Sibirien, Kamtschatka, Slowenien, Georgien, Dänemark. Die nächsten Romane: Österreich, Norwegen, Slowenien, Vereinigte Staaten. Es könnte zurzeit auch gerne ein wenig weiter in die ferneren Ecken gehen, doch finde ich meine Auswahl auch jetzt befriedigend, was Diversität und Vielfalt betrifft.
Meine persönlichen Vorlieben konkreter in die Länge zu gehen würde jetzt bedeuten, mehr Beispiele zu nennen, diese findet ihr aber ganz leicht, wenn ihr euch einfach mal meine Beiträge anschaut oder den obigen Links folgt.
Wie sieht das bei euch aus, interessiert ihr euch für einen bestimmten geografischen oder kulturellen Raum? Ist es der, der euch am nächsten liegt, oder erforscht ihr auch gerne gezielt entferntere Gebiete?
Auf eure Resonanz in den Kommentaren freue ich mich.
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Ja, z.B. von haitianischen Autoren, deren Storys dort angesiedelt sind. Ein Verlag, der diese Autoren im Programm hat – möglicherweise der einzige – ist LITRADUKT, http://www.litradukt.de/
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Sehr spannend, danke für den Hinweis!
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Finde das eine sehr interessante Frage, wobei ich eine Variante der Formulierung dabei noch spannender fände: Bücher die nicht nur in anderen Kulturkreisen spielen, sondern Bücher die aus anderen Kulturkreisen stammen – ich glaube so hast du die Frage auch interpretiert. Beispiel Shantaram, spielt zwar in einem anderen Kulturkreis, stammt aber von einem Autor, den ich zumindest grob meinem eigenen Kulturkreis zuordnen würde.
Denn hier muss ich sagen dass ich wirklich nur sehr sehr wenige Bücher gelesen habe, die tatsächlich von Autoren aus einem anderen Kulturkreis stammen. Ein paar russische und japanische, aber zum Beispiel noch nichts aus dem arabischen oder afrikanischen Raum. Die Liste die du verlinkt hast sollte da aber sicherlich weiterhelfen. 😉
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Die Ergänzung ist sehr interessant und trifft meine Interpretation genau wie du es auch verstanden hast. (Die Fragen werden nicht von mir formuliert, so hatte es meines Erachtens auch Antonia selbst verstanden.) Shantaram ist ein großartiges Beispiel. Ich finde schon, dass ein Australier von einem Europäer kulturell wesentlich weiter entfernt ist als ein Spanier oder dergleichen. Und Beispiel Dotstojewski: dann wäre ein anderer zeitlicher Kreis schon theoretisch auch ein anderer Kulturkreis? Spannend! 🙂
Bei den Japanern kann man außerdem noch zwischen den „unechten“ (leben in Europa oder den Staaten, schreiben japanozentrische Literatur) von den „echten“ (beide Murakamis z.b.) unterscheiden, das ist auch ganz spannend welche assoziativen Flächen da einander überlappen.
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Hallo, da meine Leidenschaft die Kultur Südostasiens ist und mein Spezialgebiete dabei Thailand und die Khmer sind, ist es natürlich ganz klar – ich liebe sämtliche Literatur die diesen Kulturraum abbildet. Leider findet man sehr wenig Bücher und Geschichten die sich mit dieses Thema beschäftigen. Oftmals bekommt man dann in Gesprächen zu hören „Anna und der König von Siam“ oder ähnliche Hinweise. Tiefer gehende Lesestoff ist wenig zu finden. Ich freue mich also auch sehr wenn hier einer Vorschläge für mich hat! Also immer her mit den Büchern über Südostasien 😉
Liebe Grüße von Reiner
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Hallo Reiner, wohl wahr, obwohl immerhin die ostasiatische Region in letzter Zeit an Popularität gewinnt. Vielleicht bekommen wir hier ja auch mal einen Bestseller aus Thailand oder Indonesien geboten, wer weiß. Ich halte die Augen offen 🙂
Lieben Gruß zurück!
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Hallo, sehr gute Frage. Im Grunde ja das „über’n Tellerand schauen“-Ding. Kann man das, will man das, denkt man man tut es , tut es aber gar nicht? Das geht ja auch schön früher los, von den 75 Romanen, die ich 2020 gelesen habe, waren ganze 7 von Frauen, alle andere von Männern. Klingt erstmal armselig, wenn ich aber hinzufüge, dass ich diese sieben von Frauen auch nur las, weil ich mir vornahm „jetzt aber mal ne Frau!, dann ist das einerseits immer noch wenig, auch schade, das sich es mir „vornehmen“ muss – anderseits mache ich es eben immerhin. (Die 7 habe ich für 2021 übrigens jetzt schon getoppt, juhu). Das Gleiche gibt es mit Indie contra Großverlage etc. Und, klar, auch Regionen. Wie mein Musik- so ist auch mein Buchregal zum 85% Prozent gefüllt mit Zeug von weißen europäisch-nordamerikanischen Kerlen. Quasi Abziehbildern meiner selbst. Wobei ich das gar nicht so seltsam finde, sondern naheliegend, im Gemeinsamen das Trennende finden und es zur eigenen Persönlichkeitsfindung hinzufügen funktioniert für mich eben über die Schiene am ehesten, weil deren leben meinem am ehesten gleichen. Darum nehme ich mir alles andere vor, wobei osteuropäische Autoren besonders stark bei mir vertreten sind (wo man nun streiten kann, ob das nicht auch Meinesgleichen sind). Mich fasziniert Osteuropa total (vielleicht, der Nachname gibt es her, irgendwelche verschütteten gene, ha). Und ich finde es auch seltsam, dass wir über weit entfernte Länder mehr wissen als über z.B. Ungarn. Wäre der ungarische Regierungschef nicht etwas verhaltensauffällig, den würde hier doch keiner kennen. Polen, Estlan, Litauen – wir lachen immer so gerne über die Amis, die außer ihrem Land nix von der Welt kennen. Wirklich besser sind wir da aber auch nicht. Ich kenne die Hauptstädte von Estland, Lettland, Litauen, logo! Nur welche Stadt zu welchem Land gehört, ehm…. Kurzum: Ich bin etwas notorisch vernalagt und bau mir meine Leseliste tatsächlich nahc Schubladen auf, daher sorge ich dafür, dass regelmäßig „was anderes“ drankommt. Gewissermaßen so: MannEuropneu-MannEuropKlassiker-Fraujungneu-MannSüdam-MannAsien-MannDeutschlandneu-FrauKlassiker….etc. Gleichermaßen armselig wie schön. Hobbies braucht der Mensch!;-) Liebe Grüße, Sandra – David.
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Eine realistische Selbsteinschätzung ist etwas äußerst wertvolles 😁 bestimmte Kriterien versuche ich auch zu erfüllen. Dafür mag ich bookstagram so gerne, da findet man bei denjenigen mit gemeinsamen Leseinteressen schnell etwas neues und spannendes. Aus der eigenen Schubladenstapelei muss man sich allerdings dann schon ab und zu wenigstens versuchen zu befreien … Ich empfehle Dir auch trotzdem wärmstens so eine sich-um-die-Welt-lesen-Liste, ich habe darin viele wertvolle Erfahrungen gefunden.
Lieben Gruß zurück!
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