
Londoner Autorin Annalena McAfee sinniert in ihrem dritten Roman „Der Blütenschatten“ über den Wert der Kunst, die Blindheit gegenüber Pflanzen und die kulturellen Revolutionen in der britischen Hauptstadt in den 1960er und 70er Jahren.
Der Roman bietet ein widersprüchliches, hochgradig ungewöhnliches – und zeitgleich gehaltvolles, einprägsames Leseerlebnis. Warum lohnt sich die Lektüre so sehr?

„Blütenschatten“ begleitet die 60-Jährige Eva auf dem Weg zum Höhepunkt ihrer künstlerischen Karriere. Die Künstlerin ist durch das Porträtieren von Blumen bekannt geworden und fertigt nun eine Reihe an Gemälden hochgiftiger Pflanzen an.
Zeitgleich wird Evas Ehe seziert – denn die Künstlerin hat endgültig beschlossen, sich von ihrem Ehemann zu trennen und ihren jungen Liebhaber Luka als festen Partner in ihrem neuen, selbstständigen Leben zu installieren.
Die Zukunft erscheint vielversprechend. Nicht nur Evas künstlerisches Schaffen blüht neben Luka, der zeitgleich als ihr Assistent im Atelier arbeitet, neuartig auf – sie findet ihr Verlangen nach körperlicher Liebe wieder.
Doch unerwartet schleichen sich unangenehme Elemente ihrer tumultuösen Vergangenheit wieder in Evas Leben ein und plötzlich steht ihre gesamte Karriere auf dem Spiel…
Selten habe ich eine so unsympathische Protagonistin gelesen, wie Eva es ist. (in Gesprächen mit McAfee-Kenner:innen erfuhr ich, dass das wohl ihr Modus Operandi sei.) Die Frau besitzt in ihrem Fachgebiet ein immenses Wissen zur Geschichte, Beschaffenheit und Funktionalität von Pflanzen. Ebenso bringt sie ein beeindruckendes Maß an Hingabe für ihr Handwerk zutage. Die Mission ihrer Kunst, das breitere Publikum über die wichtige Rolle von Natur und Pflanzen zu unterrichten, ist bewundernswert.
Ihre zwischenmenschlichen und sozialen Kapazitäten lösen genauso viel Ärger, Antipathie und Missgunst aus, wie ihr Werk und ihre Arbeitsmoral an Bewunderung erzeugten. Die Protagonistin ist ungemein egozentrisch; behandelt alle, die sozial oder beruflich unter ihr stehen, wie Dreck; verliert über ihre Zeitgenoss:innen und Kolleg:innen nahezu ausschließlich kritische Worte – und hatte, wie sich im späteren Verlauf der Handlung herausstellt, in ihrer Vergangenheit eine höchst illegale Affäre.
Die sich gegen Eva häufende Antipathie kann der Geschichte in ihren dem Gesamteindruck interessanterweise jedoch nichts anhaben: Die facettenreiche Handlung hält ihre Spannung bis zur letzten Seite; die Figuren übertrumpfen einander geradezu in ihrem gegenseitigen und individuellen Antagonismus.
Das allegorische Gift der gefährlichen Pflanzen, welches die Luft zwischen den sich zueinander genauso toxisch verhaltenden Figuren immer mehr und mehr füllt, fungiert als Warnung und Vorblende zum radikalen Schluss der Geschichte, die ich an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten werde. Jedoch ist es hochgradig faszinierend, den unangenehmen, hinterlistigen, gemeinen Machenschaften der Figuren zu folgen.
Die unapologetische Manier der Autorin erinnert in geringem Maße an Houellebecq, doch am ehesten ziehe ich Parallelen zu Amélie Nothomb, deren schwarzer Humor, kritisches Denken, intellektuelle Reichhaltigkeit und unkonventionelle Antagonisten bei McAfee alle auf eine ähnliche Art vorzufinden sind.
So erfüllend wie dieser Roman auf einer intellektuell-informativen Ebene ist, so unbehaglich ist er auf einer menschlichen Ebene. Warme Gefühle und Freude hat dieses Buch an keiner Stelle bereitet.
Und doch war der Roman mit Rekordgeschwindigkeit ausgelesen.
Ich verbleibe: verwirrt, gestört, beeindruckt und interessiert. Mehr davon!
Hast Du bereits etwas von Annalena McAfee gelesen? Wie gefallen Dir ihre Romane? Findest Du den Vergleich mit Nothomb gerechtfertigt?
Auf Deine Resonanz in den Kommentaren freue ich mich sehr!
Hier geht’s zur Leseprobe.
Bibliografie:
Titel: Blütenschatten
Autor: Annalena McAfee
Seitenzahl: 336
Erscheinungsdatum: 28.04.2021
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07113-9
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Kategorien:Neuerscheinungen
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